Architekten, Planer, Ingenieure und Bauherren erleben durch den Einsatz der BIM-Methode eine enorme Effizienzsteigerung. Die Zusammenarbeit der Projektbeteiligten am gemeinsamen 3D-Gebäudemodell gestaltet sich durch den niederschwelligen Informationsfluss einfacher. Prozesse können besser aufeinander abgestimmt werden, Fehler werden frühzeitig erkannt und die Planungsqualität steigt. Der Einstieg in die modellorientierte Planungsmethode erfordert jedoch die Bereitschaft, sich mit den neuen Technologien auseinanderzusetzen. Planer müssen sich nicht nur mit der BIM-fähigen CAD-Software vertraut machen, sondern auch mit neuen Werkzeugen wie verschiedenen Simulationsprogrammen, die sie bei der Arbeit unterstützen können. Auch für Augmented-Reality- und Virtual-Reality-Applikationen (AR/VR) bietet das BIM-Modell eine vielversprechende Ausgangslage. Diese Technologien haben sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt und bieten während des gesamten Lebenszyklus des Gebäudes grosses Potenzial. Einige Lösungen werden bereits erfolgreich eingesetzt, und die Entwicklungsunternehmen arbeiten weiterhin mit Hochdruck an der Erschliessung des neuen Marktfelds.
Virtual, Augmented oder Mixed Reality?
Auch wenn Augmented und Virtual Reality oft in einem Atemzug genannt werden, ist das virtuelle Erlebnis, das diese Technologien erzeugen, ein grundsätzlich anderes. Während der Nutzer einer VR-Brille gänzlich in eine künstliche Welt eintaucht, mischt sich in der Augmented-Reality-Umgebung die Wirklichkeit mit der digitalen Welt. Entsprechend unterschiedlich sind die Anwendungsbereiche dieser Technologien.
Virtual Reality eignet sich dort, wo Projekte visualisiert werden sollen, zum Beispiel um Entwürfe vorstellen, Varianten vergleichen oder einen Raum, das Interieur und die Proportionen erleben zu können. Mit Letzterem konnte sich diese Technologie in der Immobilienvermarktung bereits erfolgreich etablieren. Doch es werden auch neue Wege beschritten. Die auf 3D-Modelle und High-End-Visualisierungen spezialisierte Raumgleiter AG stellte erstmalig ihre VR-Applikation Archscape für den digitalen Wettbewerb zur Verfügung. Im Studienauftrag für die Entwicklung des vanBaerle-Areals in Münchenstein diente sie nicht nur zur Auswertung der eingereichten 3D-Modelle, sondern auch zur interaktiven Präsentation und Jurierung.
Augmented Reality kommt hingegen zum Einsatz, wenn zusätzliche Informationen oder digitale Pläne in realen Siedlungsräumen oder in bestehenden Projekten zur Verfügung stehen sollen. In diesem Kontext wird auch der Begriff Mixed Reality verwendet. Marko Bublic von der Firma Afca, Entwickler der Raumplanungsapplikation Holo Planning, erklärt: «Mixed Reality kann mit der smarten AR-Brille von Microsoft erlebt werden. Die Hololens vermischt virtuelle Inhalte mit der Realität. Sie kann 3D-Projektionen in der direkten Umgebung nicht nur darstellen, sondern ermöglicht dem Nutzer auch natürliche Interaktionen. So berücksichtigt sie zum Beispiel bei der Abbildung der Umgebung die Bewegungen und Gesten des Nutzers und stellt verschiedene Aufnahme- und Kommunikationstools zur Verfügung.» Holo Planning bettet virtuelle Baupläne in die natürliche Umgebung ein und macht damit die Wirkung von geplanten Gebäuden im Stadtraum erlebbar. Im Indoor-Einsatz dient es ausserdem als digitaler Ersatz von traditionellen Gipsmodellen für Planungs- und Wettbewerbsprozesse. Das Raumplanungsinstrument ist unter anderem in verschiedenen Ämtern der Stadt Zürich im Einsatz.
Vergleich von Planung und Ausführung
Das Potenzial von Augmented Reality hat auch das Baugewerbe erkannt. In dem Grossprojekt Stücki Park unterzieht sich zurzeit die bereits in der industriellen Anwendung erfolgreiche AR-Applikation Sphere dem Proof of Concept. Auf dem Stücki-Areal in Basel entstehen parallel zum bereits erstellten Technologiepark und Shopping-Center vier neue Gebäude – drei mit Labor- und Forschungsflächen und eines mit Büroräumlichkeiten. Die Halter AG zeichnet als Gesamtleister für die Planung und Ausführung des Grundausbaus sowie der Büro- und Laborausstattungen verantwortlich. Bei Halter Gesamtleistungen sah man in Augmented Reality die Chance einer signifikanten Effizienzsteigerung. Und als BIM-Projekt geplant, erfüllt der Stücki Park die Grundvoraussetzung für den Einsatz der AR-Lösung.
Wenn Michal Rontsinsky, Projektleiter Digitales Planen und Bauen bei Halter, mit der AR-Brille auf der Baustelle unterwegs ist, kann er die BIM-Daten direkt mit den realen Gegebenheiten vergleichen. So erkennt er schnell, wo die Realität nicht der Planung entspricht, kann dies an Ort und Stelle über die Brille dokumentieren und Handlungsaufforderungen erstellen – zu einem Zeitpunkt, an dem die Ausführung von Korrekturen wesentlich weniger aufwendig ist als in späteren Projektphasen. Die AR-Lösung des Software-Herstellers Holo One soll auch zur Aufbereitung des As-built-Modells genutzt werden können. Mit einem Pendenzensystem möchte der Gesamtleister über die Hololens wichtige Abweichungen von der Planung identifizieren und im Modell nachführen können. «Die zusätzlichen Kommunikationsmöglichkeiten der Sphere-Plattform erlauben einen direkten Austausch mit der Baustelle. Das vereinfacht diesen Prozess für alle Projektbeteiligten», ist Rontsinsky überzeugt. Bis ein Gebäudetechniker ein Halter-Projekt mit der Hololens begehen wird, kann es aber noch etwas dauern. Zurzeit arbeiten die Entwickler an der Lösung für ein Verortungsproblem. Es gelingt zwar, die digitalen Projektdaten deckungsgleich auf der realen Umgebung abzubilden, nicht aber, die durch die Hololens gewonnenen Pendenzen exakt ins digitale Modell zurückzuspielen. «Und der Einsatz von Augmented Reality auf der Baustelle macht nur Sinn, wenn man die gewonnenen Informationen im BIM-Modell nachführen kann», betont Rontsinsky. Neben den gewünschten Anwendungsfällen für die Baubranche sieht er auch Entwicklungspotenzial beim Produkt Hololens selbst. «Nicht jeder auf der Baustelle ist ein Technik-Freak, der den Umgang mit der Brille gewöhnt ist. Viele arbeiten lieber mit dem Tablet oder Handy, für welche die AR-Applikation ja auch zur Verfügung steht. Wir müssen uns also fragen, welche Vorteile der Einsatz der Brille bringt. Mir persönlich gefällt, dass ich die Hände freihabe. Ich kann gleichzeitig kontrollieren und kommunizieren. Pendenzen erstellen kann ich aber nur über die Gestensteuerung der Hololens, was zugegebenermassen keine besonders intuitive Bedienung ist. Warum also nicht eine Sprachsteuerung integrieren? Die Anwendung müsste noch viel einfacher sein, damit sie auf der Baustelle von jedem akzeptiert wird», resümiert der Projektleiter.
Schulung des Wartungspersonals
Breitflächig bereits im Einsatz sind hingegen auch VR-Lösungen, die zu Schulungszwecken genutzt werden. Dies vor allem dort, wo es für Techniker gefährlich werden kann. So hat zum Beispiel der Software-entwickler Bandara für den Stromkonzern BKW eine VR-Trainingsapplikation entwickelt, mit der Auszubildende Schalthandlungen im Umgang mit Hochspannung realitätsnah trainieren können. Der Nutzer der Applikation für die VR-Brille Oculus Quest befindet sich vor einer virtuellen Schaltanlage, bei der eine Sicherung ausgefallen ist. Nun gilt es, das Problem zu erkennen und – nachdem man sich mit der korrekten Schutzausrüstung ausgestattet hat – zu beheben.
Auch im Tunnel ist die Infrastruktur nicht gefahrlos zu begehen. Ceneri, der drittgrösste Basistunnel in der Schweiz, besteht aus zwei Einspurröhren, die rund 40 Meter auseinanderliegen und alle 325 Meter durch Querschläge miteinander verbunden sind. Die Querschläge beherbergen die technischen Anlagen, die nur nachts an den Wochenenden gewartet werden können, wenn kein Zugbetrieb stattfindet. Ab 2021 werden die Züge Tag und Nacht durch den Tunnel rauschen – im Testbetrieb mit bis zu 275 Kilometern pro Stunde. Die SBB standen damit vor der Herausforderung, ihr Wartungspersonal ausbilden zu können, ohne die technischen Anlagen aufsuchen zu müssen. Nach der Inbetriebnahme des Tunnels im Dezember ist eine Schulung in den Querschlägen des Tunnels nicht mehr möglich. Deshalb entschlossen sich die SBB, auf den Einsatz einer VR-Lösung der Swisscom-Tochter Cablex zu setzen. Cablex ist spezialisiert auf den Bau, Unterhalt und Betrieb von hochleistungsfähigen, zukunftsträchtigen ICT- sowie Netzinfrastruktur-Lösungen und zählt zu den grössten Service-Anbieterinnen der Schweiz. In Arbeitsgemeinschaft mit Porr übernahm das Unternehmen die Verantwortung für das Los Bahntechnik und die Gesamtkoordination im 15,4 km langen Ceneri-Basistunnel. Die Vorteile von Virtual Reality zu Schulungszwecken im Tunnelbau liegen für Gavan Collett, Head of Digitalisation bei Cablex, auf der Hand: «Die Schulung kann unabhängig von Ort und Zeit durchgeführt und beliebig wiederholt werden. Dazu muss sich das Schulungspersonal aber nicht den Gefahren des Tunnels aussetzen. Und die Kosten für die Schulung verringern sich auch, da keine Aufbauten erstellt und gepflegt werden müssen. Ausserdem wird der Zugverkehr nicht unterbrochen.»
Die virtuelle Test- und Schulungsanlage (TUSA 4) wurde als digitaler Zwilling der technischen Anlagen im Querschlag 17 erstellt. Die sich dort befindlichen Sicherheitssysteme, Funkanlagen für GSM-Rail, Beleuchtung und Notbeleuchtung, die Anlage zur Speisung der Kompressoren für die Türen sowie der Anschluss an die Tunnelleittechnik werden in ihrer realen Anordnung in der VR-Lösung abgebildet. Zusatzinformationen oder Dokumentationen stehen beim Antippen des Anlagenelements zur Verfügung. Und auch ein «Werkzeugkasten» steht für den virtuellen Einsatz bereit. Zurzeit werden dem Wartungspersonal zehn Schulungsthemen mit 23 verschiedenen Szenarien angeboten. Die Schulungsteilnehmenden können mit den Anlagen interagieren und den richtigen Umgang im Szenario erlernen.
Die Schulung, die im Eingriff- und Interventionszentrum am Südportal des Tunnels in Biasca durchgeführt wird, konnte aufgrund des Lockdowns zwar erst von circa 40 Personen besucht werden, das Feedback auf die Einführung der neuen Technologie sei aber sehr positiv, berichtet Andreas Tondi, Projektleiter Gotthard Lifecycle Management bei den SBB. «Nicht nur junge Mitarbeitende erkannten den Mehrwert der VR-Lösung, sondern auch diejenigen, die nicht zu den sogenannten Digital Natives gehören.» Natürlich habe die Anwendung Erklärungsbedarf und benötige eine detaillierte Einführung in die Handhabung der Bedienelemente. «Aber bei der Anwendung der VR-Brille geht es ja nicht darum, zum Beispiel das Lösen einer Schraube zu simulieren, sondern darum, die Wartungsabläufe Schritt für Schritt zu üben und zu verinnerlichen.» Bei den Gotthard-Röhren seien dazu noch alle Anlagen 1:1 nachgebaut worden. «Im Ceneri-Basistunnel haben wir mit dem Einsatz von Virtual Reality eine weit effizientere und kostengünstigere Lösung gewählt. Die Möglichkeit, die Ausbildung in der virtuellen Realität durchzuführen, ist für uns ein grosser Schritt in die digitale Zukunft», ist der Projektleiter überzeugt.