Adrian Altenburger (ZVG)

Energiestrategien für zukunftsfähige Gebäude

Wie gelingt eine nachhaltige Erneuerung des Gebäudeparks Schweiz? Eine zukunftsfähige Energiestrategie muss neben der Ökologie auch die Ökonomie, die Ressourceneffizienz und den Werterhalt bestehender Gebäude berücksichtigen. Adrian Altenburger, Partner der Amstein + Walthert AG in Zürich ist überzeugt, dass in Zukunft das intelligente Engineering und Management von Energieerzeugung und Speicherung sowie die bedarfsgerechte Abgabe von entscheidender Bedeutung beim effizienten Ressourceneinsatz sind.

In Lausanne, Mendrisio und Zürich veranstaltet der Schweizerische Architektenverband SIA eine Ausstellung der Preisträger des Wettbewerbs „Umsicht“. Als Hauptsponsor des Wettbewerbs lädt die Somfy AG dabei zum Zweiten Symposium für Planer und Architekten ein. Im Mittelpunkt des Symposiums mit dem Titel „Bioklimatische Fassaden“ steht die zukunftsfähige Gestaltung des Lebensraums Schweiz. Referent ist Adrian Altenburger, Partner von Amstein + Walthert, Zürich. An der Diskussion beteiligen sich auch Andreas Grieninger (Somfy), Felix Egger (Velux), Philippe Baumann (Création Baumann), Marc Kästli (Kästli Storen), Herbert Holzer (Baumann Hüppe), Rolf Karlen (Regazzi), Alain Leimgruber (Lamelcolor).

Termine

20.10.2011 Lausanne, Archizoom Bâtiment SG, Station 15
10.11.2011 Mendrisio, Ufficio esposizioni USI-Accademia di architettura, Villa Argentina, Largo Bernasconi 2
17.11.2011 Zürich, Baumusterzentrale
Veranstaltungsdauer: 16:00 - 18:00 Uhr

Info und Anmeldung: info@somfy.ch

 

Interview mit Adrian Altenburger (Amstein + Walthert, Zürich) zu den ungenutzten Energieeffizienz-Potenzialen von Gebäuden.

Warum ist Energieeffizienz für die Schweiz aus Ihrer Sicht so wichtig?
Adrian Altenburger: Auch in der Schweiz führen wir richtigerweise aktuell die Debatte um einen geordneten Atomenergieausstieg. Nebst dem Wegfall dieser mit ca. 40% am gesamten Stromverbrauch nicht unwesentlichen Versorgungskapazität verzeichnen wir auch im 2010 wieder einen gestiegenen Energiebedarf u.a. auch aufgrund unseres Bevölkerungswachstums. Wir müssen das Problem der nachhaltigen Energieversorgung in jedem Fall lösen, indem wir einerseits raumplanerisch das Wachstum geschickt lenken und unseren beschränkten Raum am besten nutzen und andererseits die Effizienzpotentiale im Sinne der "best practice" möglichst ausschöpfen. Die nicht benötigte Kilowattstunde ist bekanntlich die günstigste. Möglich ist das, indem wir verdichtet bauen und zum Beispiel Wohnen und Arbeiten wieder näher zusammenführen. Dazu brauchen wir einen neue Effizienzdebatte, welche die Arbeit und nicht primär den Menschen zur Mobilität zwingt.

Amstein + Walthert plant vor allem komplexe Gebäude wie Büros, Verwaltungsgebäude, Hotels, Flughäfen. Welche Trends beobachten Sie hier in Sachen Effizienz?

Insgesamt gilt, dass vor allem private Investoren, welche Ihre Gebäude auch selber nutzen und die öffentliche Hand nicht mehr in erster Linie an niedrigen Investitionskosten interessiert sind. Stärker als Investoren, die Renditeobjekte erstellen, haben sie die späteren Betriebskosten, die so genannten Lebenszykluskosten im Blick. Bei diesen Lebenszykluskosten gewinnt die Frage der Energieeffizienz immer mehr an Bedeutung.

Würden Sie sagen, die öffentliche Hand investiert nachhaltiger?
Generell gilt, dass Bauherren oder Investoren, die Gebäude selbst nutzen oder betreiben, eher auf Nachhaltigkeit achten als diejenigen, die ein Gebäude bloss erstellen und mit einer guten Rendite verkaufen wollen. Aber in der Gruppe, die selbst kauft, baut oder betreibt, erscheint mir unterm Strich die öffentliche Hand am sensibelsten für das Thema. Das ist auch wichtig, denn sie hat eine Vorbildfunktion. In der Stadt Zürich beispielsweise gibt es die so genannte 2000 Watt Gesellschaft. Zürich hat die Idee explizit ins Regierungsprogramm aufgenommen, obwohl sie im Grunde ja eher eine Vision ist.

Ist das Programm der 2000 Watt Gesellschaft aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Mit seiner Forderung, auch die CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr auf  eine Tonne zu beschränken, verfolgt das 2000 Watt Programm grundsätzlich ein sehr handfestes Ziel. Wenn ich aber meinen Bedarf mit erneuerbaren Energien abdecken kann, ist es doch im Grunde egal, ob ich 2000 oder 4000 Watt verbrauche. Allerdings hat die Kapazität der Kraftwerke, welche auf erneuerbaren Energieträgern basiert wie zum Beispiel Photovoltaik oder thermische Solarkraftwerke in Südeuropa und Nordafrika auch Ihren Preis. Auch hier gilt: Das nicht zu bauende Kilowatt ist das günstigste.

Das heisst, der Blick auf die Wattzahl reicht nicht aus?
Wenn Sie einen grossen Teil Ihres Energiebedarfs mit Umweltenergie, sei es Erdwärme, sei es solare Energieerzeugung abdecken können, dann ist die Wattzahl im Bezug auf die ökologische Nachhaltigkeit nicht entscheidend. Wenn ich beispielsweise mein Gebäude an einem Ort baue, an dem ich heisses Wasser aus Umweltwärme beziehe und direkt für die Heizung nutze, dann ist es unerheblich, wie viel Energie das Haus selbst braucht. Wenn ich hingegen dasselbe Haus mit einem Gas- oder Ölkessel oder mit einer Wärmepumpe beheizen muss, dann ist es wichtig, wie effizient die Wärmepumpe ist oder wie viel Gas oder Öl ich einsetzen muss. Denn dann geht es um CO2-Emissionen.

Was sind die politischen Konsequenzen?
Dass man einerseits die Effizienz bestehender Gebäude steigern muss und andererseits die neuen Energieerzeugungs-Anlagen so erstellen sollte, dass sie CO2 arm und dabei bezahlbar sind. Partikularinteressen sollten dabei nicht den Landesinteressen vorangestellt werden.

Braucht es dazu eher mehr oder eher weniger Regeln?
Ich bin der Meinung, dass es mehr Information und konsequenterweise wohl auch mehr Kontrolle im Bereich der Effizienzsteigerung im Betrieb braucht. Vielfach erreichen Gebäude nicht die Werte, die in der Planung vorgesehen waren. Fahrzeuge werden zum Beispiel regelmässig überprüft. Bei Gebäuden hingegen gibt es bisher überhaupt keine Kontrolle im Bezug auf Energieeffizienz. Betriebsoptimierung passiert ausschliesslich auf  freiwilliger Basis. Dabei ist das Potenzial hier enorm. Ökologisch und ökonomisch.

Amstein + Walthert hat schon einige Objekte analysiert. Was war das Ergebnis?
Von ca. 50 Gebäuden haben nur drei in Effizienzfragen so abgeschnitten, dass die Payback-Zeit für Investitionen und für unseren Aufwand bei fünf Jahren lag. Die Payback-Zeit beim Rest lag unter zwei Jahren. Das heisst nach nur zwei Jahren Betrieb hatten sich alle Investitionen allein über Einsparungen im Energiebereich amortisiert. Das zeigt, dass eine solche Betriebsoptimierung nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch wirtschaftlich höchst interessant ist. Diese so genannten "low-hanging-fruits", also tief hängende Früchte, lassen sich sehr leicht ernten.

Gibt es typische Beispiele für solche tief hängenden Früchte?
Jede Branche oder Gebäudenutzungsart hat typische Schwachstellen. Generell und über alle Gebäude hinweg erweist sich die Prüfung der Anlagenbetriebszeiten aber als höchst wirtschaftlich. Hier erreicht man Einspareffekte schon durch das Umprogrammieren einer Zeitschaltuhr. Viele Lüftungs- oder Klimaanlagen beispielsweise laufen rund um die Uhr, auch wenn 8-10 Stunden völlig ausreichen würden. Aber auch die Optimierung von Anlagen, die nicht sauber ausgelegt sind oder die Verbindung einer Lichtsteuerung mit einem Präsenzmelder sind solche tief hängenden Früchte.

Existiert eine Auswertung dieser Analyse der 50 Objekte?
Bei Amstein + Walthert wollten wir damit in erster Linie für unsere eigenen Mandate prüfen, ob sich eine solche Optimierung gegenüber Bauherren generell argumentieren lässt. Wenn man mehrheitlich eine durchschnittliche Payback Zeit von zwei Jahren oder weniger aufzeigen kann, ist das ein sehr gutes Argument.

Sind auch die Architekten zugänglich für solche Argumente?
In den letzten 20 Jahren hat sich hier sehr viel getan. Vor 30 Jahren haben mit wenigen Ausnahmen, alle an der Bauplanung Beteiligten eher isoliert und segmentiell in ihren eigenen Fachgebieten gearbeitet. Zwar hat die Summe der Teile auch ein gesamtes Gebäude ergeben, aber Synergien liessen sich so nicht nutzen. Das begann erst vor etwa 20 Jahren. In den letzten 10 Jahren, insbesondere mit der jungen Architektengeneration wurde es dann selbstverständlicher, dass man interdisziplinär Ideen und Konzepte entwickelte.

Sehen Sie noch Handlungsbedarf in der Zusammenarbeit?
Die Architekten sind heute wesentlich bereiter zur Kooperation als mancher Gebäudetechnik-Planer. In der Schweiz werden Gebäudetechnik-Ingenieure nur an einer einzigen Fachhochschule ausgebildet. Entsprechend wenige Ingenieure gibt es, die überhaupt die Kompetenz besitzen, ganzheitliche Konzepte zu entwickeln. Oft müssen Architekten enttäuscht feststellen, dass die Qualifikation der Gebäudetechnikplaner ihrem Anspruch nicht genügt. Anders gesagt, es wäre nicht falsch, wenn noch weitere Fachhochschulen oder auch die ETH die Energie- und Gebäudetechnik in ihr Grundstudiengängen aufnehmen würden. Letztlich ist das Erreichen der besseren Energieeffizienz und einer nachhaltig situierten Gesellschaft auch eine Frage der Bildungspolitik.

Kann auch die Industrie zu dieser Effizienzsteigerung einen Beitrag leisten?
Sogar einen sehr sinnvollen. Wir brauchen höhere Fertigungsgrade der Produkte im Sinne von Modulen und von Plug +Play. Die Industrie kann Module und Komponenten entwickeln, die auf der Baustelle nicht mehr weiter verarbeitet werden müssen, sondern fertig angeliefert und eingebaut werden können. Das senkt die Fehlerquote in der Funktionalität und steigert die Energieeffizienz.

Gibt es aus Ihrer Sicht auf der Baustelle zu viel Spielraum für Fehler?
Ich meine ja und zwar sowohl bei der Programmierung von Gebäudetechnik als auch bei ganz handfesten Installationen. Wenn ein Monteur auf der Baustelle Systeme zusammen bauen muss, ist das Ergebnis anfälliger für Effizienzverluste als wenn Standardmodule, die aus der industriellen Fertigung kommen, direkt eingebaut werden können. Ein einfaches Beispiel: Früher hat der Schreiner auf der Baustelle sein Fenster komplett selbst gebaut. Heute wäre das undenkbar.

Sie sagen, der Ausführende kann auf der Baustelle zu viel falsch machen…
Vor allem, wenn die nötige Qualifikation fehlt. Vor 20 Jahren war die fachliche Qualifikation des Personals auf den Baustellen höher als heute. Ungelernte Leute tun heute auf Baustellen Dinge, die in die Hände von Fachleuten gehören. Wo aber die Fachleute fehlen, braucht man mehr Standard. Auf der einen Seite planen und berechnen Ingenieurbüros sehr viel, auf der anderen Seite geht diese hohe Qualität bei der praktischen Umsetzung oft verloren.

Betrifft das auch die Beschattungsbranche?
Die Beschattungsbranche ist in Bezug auf Energieeffizienz und insbesondere für Bürobauten eine Schlüsselindustrie. Hier geht es um die passive Nutzung von Energie und die Verhinderung von zu viel Erwärmung. Felder in denen noch sehr viel Optimierungsbedarf besteht.

Wo sehen Sie das meiste Potenzial?
Bei der Frage, wann der Sonnenschutz unten und wann er oben ist, gibt es immer wieder Probleme. Aber die gehen nicht auf das Konto der Industrie, denn deren Lösungen sind sehr gut durchdacht, wie beispielsweise die Steuerungen von Somfy zeigen. Aus meiner Sicht liegt das Problem darin, dass die effiziente Nutzung und die Funktion nicht genau und zu wenig differenziert analysiert wurden. Hier besteht Handlungsbedarf.

Wer analysiert denn die Nutzerbedürfnisse?

Zunächst müssten sie im Idealfall durch den Nutzer selber definiert werden. Falls das nicht möglich ist, der Fachplaner zusammen mit dem Architekt. Und wenn es um die Nutzung des Sonnenschutzes geht, dann sollte insbesondere auch der Gebäudeautomationsingenieur mitdenken.

Gibt es Checklisten für diese Analyse der Nutzerbedürfnisse?

Checklisten nicht, aber es gibt Beispielsweise das SIA Merkblatt 2024 in welchem die Parameter für Standardnutzungen definiert sind und für Gebäude, die gekühlt werden, gibt es Vorschriften, wann der Sonnenschutz aktiv sein muss bzw. welche energetische Qualität er haben muss. Ich würde aber behaupten, dass gerade bei Bürobauten der Sonnenschutz sehr oft auch bei vielen Büros unten ist, die noch gar keine Sonne haben. Das ist ein sehr typisches Beispiel für Optimierungspotenzial. Intelligente Steuerungen erlauben einen modularen Einsatz, man kann die Fassade genau dort beschatten, wo tatsächlich Bedarf besteht. Diese Möglichkeiten werden aber nur selten ausgeschöpft. Stattdessen wird über die ganze Fassade einheitlich beschattet, völlig unabhängig vom tatsächlichen Bedarf.

Was sind Ihre drei wichtigsten Tipps zum Thema Effizienzstrategien?
Erstens alle Optimierungspotenziale insbesondere die "low hanging fruits" ausschöpfen. Zweitens bei der Betrachtung der Betriebsenergie auch Aspekte berücksichtigen wie graue Energien oder das Thema Mobilität. Denn es ist ein Unterschied, ob ein Bürogebäude in der Nähe eines gut erschlossenen Bahnhofs entsteht oder auf der grünen Wiese, weit entfernt von den öffentlichen Nahverkehrsmitteln. Und drittens ganzheitlicher denken. Beim Thema Effizienz und Zukunftsfähigkeit geht es neben der Betriebsenergie auch um ökonomische Nachhaltigkeit und um die Zufriedenheit der Nutzer. Die ist laut Studien dann am höchsten, wenn alle drei Aspekte stimmen: Akustik, Temperatur und Luftqualität.