Herr Büchel, 2017 hat das Schweizer Stimmvolk das revidierte Energiegesetz gutgeheissen. Seither sind aber einzelne kantonale Abstimmungen an der Urne gescheitert. Wo sehen Sie die Gründe?
Die Energiepolitik ist allgemein ein komplexes Thema mit vielen verschiedenen Facetten und die Informationsbedürfnisse sind sehr vielfältig - das haben wir auch bei der nationalen Abstimmung festgestellt. Damals war viel politisches Engagement nötig, um verständlich aufzuzeigen, weshalb alle, Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, an einem Strick ziehen müssen, um den Umbau der Energieversorgung zu stemmen. Auf nationaler Ebene ist dies vermutlich etwas einfacher zu bewerkstelligen als auf der Ebene der Kantone. Was ich aber auch feststelle: Die öffentliche Klimadiskussion des letzten Jahres, aber auch die intensive Informations- und Beratungsarbeit von EnergieSchweiz, haben dem Thema einen neuen Schub gebracht. Das macht es auch den Kantonen leichter, ihre Vorlagen umzusetzen.
Davon zeugen auch die Ergebnisse der jüngsten Parlamentswahlen. Wie werden sich diese auf die Energiepolitik auswirken?
Das Wichtigste ist, mit einer realistischen Erwartungshaltung zu arbeiten, also mehrheitsfähige Vorlagen zu entwerfen, die auch in einer Volksabstimmung Bestand haben. Ich denke, dessen sind sich die entsprechenden Parteien bewusst. Man muss auch bedenken, dass es bei den kommenden Wahlen wieder eine Korrektur geben kann. Aus diesem Grund ist es jetzt entscheidend, gut schweizerisch-pragmatisch vorzugehen und mit den Füssen auf dem Boden zu bleiben. Das Schlimmste wäre ein Hin und Her. Doch dies hat die Schweizer Politik immer ausgezeichnet, dass sie zwar manchmal etwas langsam, aber trotzdem stetig vorankommt.
Langsam geht es im Gebäudebereich auch bei den Sanierungen voran. Man hört immer wieder die umstrittene Zahl einer Sanierungsquote von 1 Prozent. Für wie akkurat halten Sie diese?
Ich denke, sie stimmt ungefähr, wobei sich natürlich die Frage stellt, was als Sanierung gilt. Ein Heizungsersatz ist aus Klimasicht sehr wichtig, wird aber meistens nicht in die Sanierungsquote mit eingerechnet. Wenn man nur von energetischen Sanierungen spricht, dürfte die Quote von 1 Prozent ungefähr hinkommen aufgrund der Zahlen, die uns vorliegen. Das ist natürlich zu tief. Man kann ja einfach hochrechnen, dass es so 100 Jahre dauern würde, bis der heutige Gebäudepark energetisch saniert ist.
Was braucht es, um die Sanierungsquote zu erhöhen?
Vor allem viel Information und eine positive Message. Es geht schliesslich auch um die Lebensqualität: Eine schlecht sanierte Wohnung mit Durchzug ist nicht nur energetisch ein Problem, sondern auch hinsichtlich des Wohlfühlklimas. Im Rahmen von EnergieSchweiz und dem Gebäudeprogramm kommunizieren wir bereits seit Langem solche Botschaften mit dem Ziel, die Bevölkerung zu Sanierungen zu motivieren. Daneben spielen natürlich auch Preissignale eine wichtige Rolle.
Seit Anfang 2020 gelten neue Regeln bezüglich der Steuerabzüge für energetische Sanierungen. Was bedeutet dies für die Hausbesitzer?
Sie können Sanierungskosten neu auf mehrere Steuerperioden verteilen, was finanziell attraktiver ist. Zudem ist es möglich, bei einem Ersatzneubau einen Teil der Abbaukosten abzuziehen. So wird der Neubau, der aus energetischer Sicht optimal wäre, eine Alternative zur Totalsanierung. Natürlich gibt es dabei auch andere Faktoren zu beachten wie beispielsweise den Denkmalschutz. Doch die Absicht hinter den steuerlichen Anreizen ist, den Hausbesitzern die Möglichkeit zu geben, beide Varianten gegeneinander abzuwägen.
Ein bewährtes Instrument, um Sanierungen anzutreiben, ist das Gebäudeprogramm, das dieses Jahr sein zehnjähriges Jubiläum feiert. Wie lautet Ihr «Dekaden-Fazit»?
Zwischen 2010 und 2018 wurden dank des Gebäudeprogramms über die Lebensdauer der geförderten Massnahmen insgesamt mehr als 13 Millionen Tonnen CO2 vermieden bzw. fast 55 Milliarden Kilowattstunden Energie eingespart. Das Ziel gemäss CO2-Gesetz einer Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 dürften wir dadurch fast oder knapp erreicht haben. Natürlich wären hier noch mehr Reduktionen möglich gewesen, aber ich glaube, das Programm hat durchaus positive Effekte gehabt. So haben sich gewisse Massnahmen inzwischen am Markt durchgesetzt und benötigen keine Unterstützung mehr.
Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Ein gutes Beispiel ist die Dreifachverglasung von Fenstern. Diese ist inzwischen zum Standard geworden und heute am Markt sogar günstiger als eine Zweifach- oder Einfachverglasung, weil letztere nur noch in tiefen Stückzahlen hergestellt werden. Ein positives Beispiel, das vom Gebäudeprogramm ausgelöst worden ist. Ich bin überzeugt, dass wir auf einem guten Weg sind. Dies spüre ich auch von Seiten der Kantone, von denen viele ihre Budgets in dem Bereich erhöht haben, was dem Programm für die nächste Dekade nochmals einen Schub verleihen dürfte.
Vergleicht man die Massnahmen in den unterschiedlichen Kantonen, so zeigen sich einige Unterschiede. Wie erklären Sie sich diese?
Die Kantone haben eine unterschiedliche Vorstellung davon, welche Massnahmen die effizientesten sind. Und dies entspricht auch der Idee des Föderalismus. Dadurch, dass die Umsetzung bei den Kantonen liegt, konnten verschiedene Massnahmen ausprobiert werden, es konnte getestet werden, welche Methoden bei der Bevölkerung Anklang finden, und die Kantone können auch gegenseitig voneinander lernen.
Seit 2018 umfasst das Gebäudeprogramm auch indirekte Massnahmen wie Beratung, Qualitätssicherung und Information. Wie haben sich diese bisher bewährt?
Sehr gut. Anlässlich der Swissbau 2020 haben wir zusammen mit vielen Partnern das Programm «erneuerbar heizen» lanciert. Im Rahmen des Programms bieten wir u. a. die Impulsberatung «erneuerbar heizen» für den Heizungsersatz an, welche als indirekte Massnahme von vielen Kantonen im Rahmen des Gebäudeprogramms gefördert wird. Wir stellen fest, dass viele Hausbesitzer dankbar sind für eine solche Beratung. Denn alle, die schon mal mit Bauprojekten im privaten Rahmen zu tun hatten, wissen, dass dies sehr aufwendig und nervenaufreibend sein kann. Da ist es wertvoll, eine Beratung zu haben, die bei diesem Prozess unterstützend zur Seite steht.
Wie ist dieses Programm aufgenommen worden?
Gemäss unseren ersten Auswertungen ist es sehr gut aufgenommen worden, wir haben eine überdurchschnittlich hohe Aufmerksamkeit generieren können. Leider können wir die Impulsberatungen nun aufgrund der aktuellen Lage um das Coronavirus momentan nicht durchführen. Gleiches gilt für die Ausbildungen der Impulsberater. Ein Teil davon hat schon stattgefunden, ein Teil musste gestoppt werden oder findet jetzt via Web statt. Diese Situation ist für uns im Moment eine grosse Herausforderung.
Inwiefern beeinflusst diese Krisensituation durch das Coronavirus sonst Ihre Arbeit?
Viele Mitarbeitende arbeiten derzeit im Homeoffice, was einen etwas höheren Aufwand für Koordination und Besprechungen bedeutet. Natürlich lernen wir hier auch dazu. Aber trotzdem ergeben sich natürlich Verzögerungen bei Projekten oder Gesetzesvorlagen. Wir versuchen, unsere Aufgaben zeitgerecht und in gewohnter Qualität zu erledigen, sind derzeit aber gezwungen, zu priorisieren.
Eine wichtige anstehende Gesetzesvorlage ist die Totalrevision des CO2-Gesetzes. Inwiefern beeinflusst dieses die Förderprogramme?
Zunächst: Mit dem Klimafonds werden noch mehr Gelder zur Verfügung stehen als bisher. Das soll auch als Motivation dienen, klimafreundliche Massnahmen zu ergreifen. Weiter sind mit dem CO2-Gesetz auch strengere Vorgaben oder Massnahmen vorgesehen, beispielsweise im Heizungsbereich. Das ist ein wichtiges Signal, das den Hausbesitzern auch zeigen soll, dass das Prinzip des fossilen Heizens ein Auslaufmodell ist.
Im vergangenen Dezember hat das Uvek die Programmstrategie von Energie Schweiz für die Dekade 2021 bis 2030 verabschiedet. Was steht dort bei den Gebäuden im Fokus?
Die Gebäude sind als eines von drei prioritären Handlungsfeldern definiert worden. Das heisst, dass auch mehr Mittel in diesen Bereich fliessen. Bei Energie Schweiz haben wir insgesamt im Vergleich zum Gebäudeprogramm beschränkte Mittel. Trotzdem können wir damit Projekte unterstützen, beraten und einige neue Initiativen starten. Und natürlich sind wir immer froh um gute Projekte und Initiativen aus diesem Bereich, die wir nach Möglichkeit gerne unterstützen.
Wir haben jetzt das Jahr 2020, es sind noch 30 Jahre bis zum «Stichjahr» 2050, in dem die Schweiz CO2-neutral sein muss. Sind wir auf Kurs?
«Auf Kurs» ist schwierig zu definieren. Aber um in der Segelsprache zu bleiben: Wir sind aus dem Hafen ausgelaufen. Mit dem CO2-Gesetz haben wir zehn Jahre Klimapolitik hinter uns und befinden uns sozusagen auf hoher See. Das Ziel ist jedoch noch in einiger Distanz. Es ist aus heutiger Sicht erreichbar, aber wir können uns nicht leisten, einfach mal abzuwarten und nichts zu machen – gerade im Gebäudebereich mit seinen hohen Erneuerungszyklen von 20 oder 25 Jahren. Dazu braucht es alle. Wir haben noch die Zeit dafür, wir müssen jetzt aber alle Segel, auch das Hauptsegel, setzen, um rechtzeitig im Zielhafen einzulaufen.
Erschienen in: Haustech 4/2020