(Bilder: GettyImages)

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Was kann ich schon ausrichten?

Klimakonferenz hin oder her – mit Erwachsenwerden können wir jederzeit beginnen

Was kann ich schon ausrichten? Ja, das ist die Frage. Was kann ich Einzelner ausrichten, ich kleiner Fisch? Der Schlamassel, in dem wir grad leben, ist zu monströs, Klimawandel, Energiekrise, Artenschwund. Wir sind – in Umfragen, also theoretisch und gratis – unbedingt dafür, dass da mehr unternommen wird. Aber was brächte es, wenn ich mein Leben änderte? Da müssen die Mächtigen ran, Politik, Wirtschaft, Technik. Also liefert endlich. Bringt unseren Planeten in Ordnung. Wir haben die Nase voll von Krisen. Wir wollen über die Festtage nach Teneriffa, mit friedlichem Gewissen.

Wie jedes Jahr bewerten wir, was die Klimakonferenz gebracht hat, meist mit schlechten Noten. Zu zögerlich, zu viele Kompromisse. Doch nehmen wir mal an, die Klimakonferenz hätte sämtlichen Dringlichkeiten entsprochen, ein Maximum an Klimaschutz beschlossen, radikal das Ende des fossilen Zeitalters eingeläutet, dazu massenhaft Geld von Reich zu Arm beschlossen. Würden wir applaudieren? Sähen wir den Planeten gerettet, die Menschheit vor dem Verbraten verschont. Freuten uns auf den Weihnachtsurlaub?

Jedenfalls schreckten wir Tage danach auf. Weil uns dämmerte: Oh Gott, nun müssen wir ändern, was uns am liebsten ist, unsere Gewohnheiten, unseren Lebensstil, unseren Trott. Fürs Klima, dachten wir, sind andere zuständig, die Industrie, die Landwirtschaft, Politik. Nun merken wir auf: Bei all den klimarettenden Massnahmen hängen direkt wir selber dran, wir ganz gewöhnlichen Endverbraucher, wir mit unserem täglichen Billigschnitzel, mit unserem Zweitauto, mit unserem Klamottenberg, unserem dauernden Streamen, unserer Teneriffasehnsucht. Ich las mal einen wunderbar schlauen Kommentar (vergessen wo, sträflich), der spielte mit diesem Gedanken: Die Leute der Politik, die sich an der Konferenz treffen, hätten längst wirksamere Abkommen getroffen, sie trauen sich bloss nicht, denn sie fürchten sich davor, hernach ihren Völkern die Wahrheit zu erzählen. Sie, die doch stets davon reden, uns alle reicher zu machen, für mehr Wohlstand zu sorgen. Sie müssten nun wohl von Einbussen erzählen: Dass wir den Lebensstil ändern, den Konsum mässigen, uns von ein paar Gewohnheiten entwöhnen müssten. Schwierig. Sie gälten ab sofort als doktrinäre Spassverderber. Bevormunder! Verbotsapostel!

Also doch bei mir beginnen? Wie komisch sehe ich denn sonst aus? Rede seit Jahr und Tag über die Dringlichkeit der Krisen (die kein ernsthafter Zeitgenosse mehr bestreitet), bin stets gründlicher über die Risiken informiert, doch mit der Zeit beherrsche ich auch die Routine stets besser, sie zu verdrängen; ich mache grosso modo weiter, ich kenne ja nichts anderes – und warte auf die nächste Konferenz. Etwas lausig, die Figur, oder nicht?

Andrerseits: Was kann ich schon ausrichten? Ich sitze nicht an den wichtigen Hebeln. Nur – ohne uns Einzelne greifen auch die grossen Hebel nicht. Worauf also warten? Wir waren doch grad in der Schweiz immer stolz darauf, uns selber zu helfen, die Dinge selber an die Hand zu nehmen – statt an den Staat zu delegieren. Warum machen wir uns also nicht zu Akteuren des Wandels – zumal staatliche Programme sonst an uns vorbeirauschen wie die Windräder, die keiner haben will im Hinterhof.

Ich rette die Welt nicht, wenn ich Müll vermeide, keine Esswaren wegwerfe, im Zug fahre, das Schnitzel auf Sonntag reserviere. Aber vielleicht rette ich mich. Meine Selbstachtung. Meinen Stolz, ein Mensch zu sein. Kein willenloses Gewohnheitstier. Kein Hanswurst der Überflussgesellschaft. Nicht im Dauerclinch mit meinen Werten leben. Sondern einigermassen erwachsen – so in der Haltung: Hey, das ist meine Welt, da bin ich zuständig.
Mit solchen Bürgern würde Politik sich sputen, mit Vergnügen.
 


* Gastkolumne von Ludwig Hasler in der Aargauer Zeitung vom 21.11.2022. Nach der 27. UN-Klimakonferenz «COP 27» von Mitte November 2022 in Sharm El Sheikh, Ägypten.
Autor Ludwig Hasler, Philosoph und Publizist, ist Mitglied im Publizistischen Ausschuss von CH Media.