Wie wichtig ein funktionierendes Gesundheitswesen ist, zeigt sich in der Bekämpfung des Coronavirus mehr denn je. Das Kantonsspital in Frauenfeld hat die bauliche Entwicklung bereits 2002 mit einem Etappenplan vorgezeichnet, um die medizinische Leistungsfähigkeit auch im neuen Jahrtausend gewährleisten zu können. Mit dem Umzug vom alten Bettenturm ins neue Bettenhaus ist Anfang 2020 einer der letzten Schritte, und wohl das wichtigste Puzzleteil, in der neuen Ausrichtung des Kantonsspitals erfolgt.
«Wie das alte wird auch das neue Bettenhaus ein weitherum sichtbares Wahrzeichen der Stadt Frauenfeld sein und so das Bild des Spitals in der öffentlichen Wahrnehmung prägen», sagte Spitaldirektor Norbert Vetterli. Der Neubau habe eine identitätsstiftende Wirkung. Er zeige die Bedeutung des Spitals in eindrücklicher Weise. Die Worte von Norbert Vetterli während des Rundgangs im vergangenen Februar erhalten in Zeiten von Corona eine neue Dimension. Sie machen Dinge sichtbar, die die Bevölkerung für gewöhnlich gerne übersieht.
Transformation bei Spitalbetrieb
«Auch die beste Gesundheitsversorgung funktioniert nicht ohne eine intakte Gebäudetechnik und zuverlässige Energieversorgung», ergänzt Roman Schläpfer von der Vadea AG. Entsprechend umsichtig und zukunftsorientiert erfolgte die Planung und Realisierung des Bauprojekts Horizont, das 2002 mit einem Entwicklungsplan begann. «Horizont ist ein wichtiger Meilenstein dieser Ausrichtung des Kantonsspitals Frauenfeld», sagt Schläpfer. Die Transformation erfolgte und erfolgt in diversen Schritten in mehr als 20 Jahren (siehe Box).
«Die erste Etappe mit Notfalltrakt und Intensivstation wurde im Jahre 2008 realisiert. In der zweiten Etappe erfolgte bis Anfang 2020 der nordseitige Neu-Anbau des OP-Traktes. Ebenfalls in der gleichen Etappe wurde der Ersatzbau des Bettenhochhauses und der Umbau des heutigen Erdgeschosses und der ersten zwei Obergeschosse realisiert. «Der Rückbau des alten Bettenhochhauses wird bis 2022 stattfinden», ergänzt Vetterli. Notabene während des laufenden Spitalbetriebs.
Grundstein der Energieversorgung
Am Anfang des Bauprojekts Horizont stand, neben dem Entwicklungsplan, eine Energiestudie des Ingenieurbüros Vadea. Energie sei für ein Spital eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, meint Roman Schläpfer, Teamleiter Lüftung/Klima bei Vadea. Auch für ihn als Experte in Spitalbauten und Reinräumen war das Kantonsspital keine alltägliche Aufgabe. «Mit unserem Konzept wurde schon früh der Grundstein gelegt, die Energieversorgung nachhaltig auszurichten», betont Schläpfer, auch wenn es, wie er einräumt, im Zuge des Planungsprozesses drei oder vier Überarbeitungen gab.
Für Bauten in dieser Grössenordnung sei das normal und hänge vor allem mit den sich laufend veränderten Bedürfnissen an die Infrastruktur zusammen, erklärt der gelernte Gebäudetechnik-Planer Lüftung, der sich im Moment in einem MBA in Projekt- und Prozessmanagement weiterbildet. «Als wir im Jahr 2010 ins Spiel gekommen sind, war das Wichtigste, den Bauherrn abzuholen und die Ansprüche in ein machbares und finanzierbares Korsett zu bringen.» Was macht der Kanton für Vorgaben, wie will man eine CO2-neutrale Energieversorgung erreichen, welche Infrastruktur kommt in Frage? «Es ging in einer ersten Phase darum, sich einen Überblick zu verschaffen, um so die Wünsche der vielen Stakeholder zu bündeln», sagt Schläpfer.
Drei Planungsgrundsätze
Bei der Medizintechnik spielt die Energie eine besondere Rolle. Es gilt beispielsweise vorgängig abzuschätzen, wie viele radiologische Anlagen oder Operationssäle geplant sind. «Für die Bedarfsplanung sind wir auf die enge Zusammenarbeit mit den Nutzern und Medizintechnikplanern angewiesen», sagt Schläpfer. Er sieht sich als Umsetzer und Koordinator dieser Anspruchsgruppen, und das seien einige, wie er betont. Erfahrung und Kontinuität waren gefragt. «Man fängt mit Handskizzen an, trennt die relevanten von den weniger wichtigen Informationen, und geht dann mit diesen immer mehr ins Detail.»
Das Resultat des Planungsprozesses einer möglichst CO2-neutralen Energieversorgung verdichtete sich in drei Grundsätzen, die fortan die Ingenieurarbeiten der Vadea leiteten. «Es musste ein energetisches, betriebsoptimiertes und ökologisches Gesamtkonzept sein. Dabei sollte die Wärme- und Kälteerzeugung als übergreifendes System dienen.» Als zweiten Grundsatz definierten Schläpfer und sein Team eine sogenannte «nicht installierte Flexibilität». «Versorgung wo nötig, Nachrüstung sollte immer möglich sein, und das abgestuft auf Steigzonen, Stockwerkverteilung und Raumerschliessung.» Und als letzter Leitgedanke musste die Verfügbarkeit der Versorgungssysteme uneingeschränkt möglich sein. Die Vorgaben waren dabei zum einen, dass die Wartung und der Ersatz von relevanten Teilen unter laufendem Betrieb möglich sein müsse, und zum anderen «dass die Energieversorgung jederzeit ausbaubar ist».
Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen
Schläpfer ist routiniert genug, um all die Fragen einordnen zu können. Doch in Beschlag nahmen ihn weniger der lange Zeithorizont des Umbauprozesses oder die vielen Ansprüche rund um die Ausstattung der Infrastruktur des Spitals, sondern wie er den alten Bettenturm, das neue Bettenhaus und die acht Nebenhäuser mit Wärme und Kälte versorgen und gleichzeitig den gesamten Betrieb aufrechterhalten sollte. Zu unterschiedlich die Temperaturniveaus, zu verschieden der Bedarf an Wärmeleistung bei Neubau und Bestand, zu komplex die Frage der Sicherheit und der Spitzenlast sowie der Wunsch des Bauherren, den Neubau energetisch möglichst CO2-neutral zu betreiben. Das Resultat lässt sich sehen. Sowohl die Stromversorgung wie auch die Kälte- und Wärmeerzeugung sind ökologisch und nachhaltig. Mit dem Energiekonzept konnte Roman Schläpfer zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Zwei Netze für die Wärme
Die Wärmeerzeugung erfolgt in der Grundlast mit Wärmekältemaschinen, die in der Spitzenlast mit einer Gas- oder Öl-Feuerung ergänzt werden. «Letztere dienen im Sinne der Versorgungssicherheit als Rückfallebene, falls im Neubau etwas nicht läuft», erklärt Schläpfer. Für die Wärmeversorgung sind zwei Netze aufgebaut: die Niedertemperatur mit 35 Grad für die Raumheizung im Neubau, und 90 Grad für die Raumheizung in den älteren Aussengebäuden sowie zur Brauchwarmwassererwärmung. Um das höhere Temperaturniveau zu erreichen, wird ein gasbetriebenes Blockheizkraftwerk mit einer Wärmeleistung von 363 kW betrieben.
«Der erzeugte Strom von 238 kW fliesst direkt in die Stromversorgung und deckt rund ein Viertel des Strombedarfs ab.» Die Kälteerzeugung erfolge mit denselben Wärmekältemaschinen und werde, soweit möglich, über die 89 Erdsonden rückgekühlt. Im Bedarfsfall erfolgt die Rückkühlung auch über Hybrid-Rückkühler, mit denen auf dem Dach mit kühlerer Aussenluft die Wärmeenergie aus dem Kreislauf entzogen wird.
Optimale Abstimmung
Zwei Kreisläufe versorgen das Spital mit Kälte: sechs Grad für die Prozesskälte der Radiologie-Geräte, die Medizintechnik oder der Lüftungsanlagen beispielsweise und 16 Grad für Klimakälte in der Raumkühlung. In den Patientenzimmern sind TABS (Thermoaktive Bauteil-Systeme) verbaut. Somit wird die Gebäudemasse, namentlich der Beton, als Energiespeicher und Strahlungsfläche genutzt. Mit diesen können die Patientenzimmer beheizt und gekühlt werden. Parallel dazu sind Arbeitsräume mit Heiz-Kühl-Decken – und bei erhöht anfallender Wärmelast mit Umluft-Kühl-Heiz-Geräten – ausgestattet. Auch diese Systeme sind an den Kühl- und Wärme-Netzen angeschlossen. «Je nach Bedarf werden diese mit Kälte oder Wärme durchströmt», erklärt Schläpfer.
Um diese Lösung ist er froh, denn «in einem Spital staut sich vor allem viel Wärme an, die durch die Geräte, Kühldecken wie auch von den Menschen selbst verursacht wird, und die irgendwie aus dem Gebäude geführt werden muss». Die Redundanz der Wärmeerzeugung und der Rückkühlung garantiert nicht nur Versorgungssicherheit. Das Zusammenspiel des Verbundsystems bringt den Wärme- und Kältebedarf durch ein ausbalanciertes Energiemanagement in ein Gleichgewicht. «Wird mehr Kälte benötigt, fällt mehr Abwärme an. Diese kann im Gebäude dann wieder genutzt werden.»
Flexibel auch in schwierigen Zeiten
Der Kanton Thurgau hat die Weichen für ein leistungsfähiges Spitalwesen vor rund 20 Jahren neu ausgerichtet, als alle öffentlichen Spitäler im Kanton in der privatrechtlichen Organisation «Spital Thurgau AG» zusammengefasst wurden. Damals eine weise Entscheidung, hat es doch gemäss Vetterli nicht nur Leistungen und Kompetenzen unter einer Gesamtleitung zusammengefasst, sondern auch die operative Gesundheitsversorgung mit der Planung, Realisierung und Finanzierung des Bauvorhabens von rund 278 Mio. Franken wesentlich vereinfacht.
«Zum anderen konnten damit die Flexibilität erhöht und Doppelspurigkeiten abgebaut werden», betont der Spitaldirektor zum Schluss des Rundgangs. Wie schnell sich das Kantonsspital Frauenfeld anpassen kann, zeigte sich in den schwierigen Tagen im Zeichen von Covid-19. Die Verantwortlichen des Spitals verzichten vorderhand auf den Rückbau des alten Bettenturms, um die Zimmer zur Kapazitätserweiterung wieder auszurüsten.