Haustech: Herr Grossen, wir führen dieses Gespräch bei der Smart Energy Link AG, die Sie vor einem Jahr gegründet haben. Wie kam es dazu?
Jürg Grossen: Das geht schon einige Jahre zurück. Ab 2012 statteten wir unser Firmengebäude in Frutigen schrittweise mit energieeffizienten Geräten, Steuerungen und einer Photovoltaik-Anlage aus. In der Praxis haben wir festgestellt, dass viele Komponenten nicht optimal aufeinander abgestimmt waren: So ist der PV-Strom oft nicht zu dem Zeitpunkt verfügbar, in dem man ihn benötigt. Beispielsweise werden Elektroboiler ohne spezielle Steuerung in der Nacht mit Netzstrom geladen. Deshalb haben wir das «Smart-Grid-Ready-Gebäude»-Projekt angestossen. Wir wollten erreichen, dass Boiler oder Ladestationen für Elektroautos dann geladen werden, wenn die Sonnenenergie verfügbar ist. Wir haben dazu viele Energieflüsse gemessen und das Ganze mit einer Steuerung optimiert.
Dafür haben Sie 2016 auch den Energiepreis Watt d’Or gewonnen.
Ja, und aufgrund dieses Erfolges haben wir uns zum Ziel gesetzt, aus dem Prototyp in Frutigen ein Serienprodukt zu entwickeln. Dieses haben wir jetzt auf den Markt gebracht. Da sich die Kundensegmente hierfür von denjenigen unserer Stammfirmen Elektroplan und Elektrolink unterscheiden, haben wir letztes Jahr die Tochterfirma Smart Energy Link AG gegründet.
Mit dieser waren Sie dieses Jahr an der Swissbau vertreten. Wie waren die Reaktionen auf Ihr Produkt?
Sehr gut. Seit 1. Januar 2018 ist das neue Gesetz in Kraft, wonach Mehrparteiengebäude Energieverbrauchsgemeinschaften (EVG) bilden können. Durch das bisherige Gesetz war es in einem Mehrfamilienhaus nur möglich, für einen einzelnen Zähler oder Verbraucher einzuspeisen: für die Wärmepumpe, für den Allgemeinzähler oder für eine Einstellhalle beispielsweise, jedoch nicht für alle Wohnungen. Aus diesem Grund verzichtete man oft darauf, überhaupt eine PV-Anlage auf einem Mehrfamilienhaus zu montieren. Mit dem neuen Gesetz und den entsprechenden Möglichkeiten ist die Nachfrage nach Lösungen wie der unseren angestiegen, was wir auch an der Swissbau festgestellt haben. Wir sind daher sehr zufrieden.
Ihre Systeme kommen auch in Vorzeigeprojekten wie beispielsweise Niederlenz (s. auch Artikel S. 20) oder Huttwil zum Einsatz, wo ein ganzes Energiequartier entsteht. Ist das ein Modell für die Zukunft?
Davon bin ich überzeugt. In Huttwil beispielsweise besteht der Gebäudekomplex aus 22 Mehrfamilien- und Doppeleinfamilienhäusern. Innerhalb dieses Areals entsteht ein eigenes Netz, das über eine einzige Zuleitung mit dem Verteilnetz verbunden ist. Alleine dank der Reduktion der Hausanschlusskosten können wir dieses interne Netz finanzieren und die Ersparnisse für die Photovoltaik oder eine Batterie einsetzen, damit wir den Strom zwischenspeichern können und nicht ins Netz einspeisen müssen.
Welche Kosten kann man dadurch einsparen?
Bei der BKW erhält man im Moment rund 4 Rappen pro Kilowattstunde für die Einspeisung vergütet. Wenn ich zum gleichen Zeitpunkt Strom vom Netz beziehe, bezahle ich zwischen 25 und 30 Rappen für eine Hochtarif-Kilowattstunde. Schon daran sieht man, dass eine optimale Nutzung des Photovoltaik-Stroms ein interessantes Geschäftsmodell sein kann. Man schont einerseits das Netz, andererseits das Portemonnaie und schliesslich auch die Umwelt – eine rundum saubere Sache.
Die Abhängigkeit vom Netz sinkt. Kritiker weisen in diesem Zusammenhang auch auf das Problem der «Entsolidarisierung» hin: Dass also immer weniger Verbraucher für das Netz bezahlen, während aber in Engpässen trotzdem alle darauf zurückgreifen.
Ich sehe hier keine Entsolidarisierung. Denn erstens ist das Netz, oder zumindest das Verteilnetz, stark überdimensioniert. Ich glaube nicht, dass die Photovoltaik auf den Hausdächern riesige Netz-Investitionen zur Folge hat. Und zweitens trägt jemand, der wenig Strom aus dem Netz bezieht, schon mit der heutigen Regelung wenig an die Netzkosten bei. Wenn jemand viel Strom selber produziert und diesen auch selber braucht, belastet er das Netz auch weniger. Und das ist keine Entsolidarisierung, das ist gerecht.
Doch die Netzinfrastruktur muss trotzdem aufrechterhalten werden.
Das ist klar. Und vielleicht müssen sich die Netzbetreiber für die Zukunft ein anderes Preismodell überlegen, bei dem weniger die Kilowattstunde, sondern eher die Lastspitze im Vordergrund steht. Dagegen wehre ich mich nicht. Im Gegenteil, für Lösungen wie diejenige in Huttwil wäre das ideal: Mit einer Batterie können wir dort die Last verteilen. So helfen wir dem Energieversorger, indem wir keine solchen «Peaks» produzieren, die das Netz belasten und ausgeglichen werden müssen.
In der letzten Wintersession hat das Schweizer Parlament die Netzstrategie verabschiedet. Unterstützen Sie diese?
Ja. In der Beratung hat es zunächst so ausgesehen, als wolle der Ständerat zurückrudern und die Strategie mit Regelungen ergänzen, die insbesondere für das Messwesen schädlich gewesen wären. Diese Vorschläge sind aber nicht übernommen worden. So wie die Netzstrategie jetzt vorliegt, unterstütze ich sie. Insbesondere im Hinblick auf die Baubewilligungsverfahren und Netzerneuerungen ist es wichtig, dass sich hier etwas bewegt.
Apropos Bewegung: Vor genau einem Jahr wurde die Energiestrategie 2050 vom Schweizer Stimmvolk angenommen. Wie haben Sie die Zeit seither erlebt? Ist ein Ruck durch die Branche gegangen?
Ein Ruck nicht gerade, aber gerade in Bezug auf Eigenverbrauchsgesellschaften hat sich in der Branche sicherlich einiges bewegt. Es ist eine Agilität entstanden, es werden spannende Lösungen entwickelt. Natürlich haben sich einige Exponenten im Vorfeld mit Händen und Füssen gegen die Energiestrategie 2050 gewehrt. Aber ich bin überzeugt, es tut unserem Land gut, wenn wir innovativ sind und uns in Richtung Cleantech und intelligente Netze (Smart Grid) bewegen.
In der Energiestrategie wird aber auch mit Subventionen gefördert. Müsste Ihnen das als Unternehmer nicht ein Dorn im Auge sein?
Die Energiestrategie beinhaltet einen Ausbau der KEV, das ist richtig. Allerdings hat sie zugleich auch die sogenannte «Sunset»-Klausel, ist also zeitlich begrenzt. Bestehende und neue Anlagen bis zu einer gewissen Grösse kriegen schon heute keine KEV mehr, sondern eine Investitionshilfe in Form einer Einmalvergütung. Ich schätze, dass es in ungefähr acht bis zehn Jahren keiner Unterstützung mehr bedarf, weil die PV-Preise noch weiter fallen und mehr Eigenverbrauch gemacht wird. Schon heute kostet eine Kilowattstunde vom Dach deutlich weniger als aus dem Stromnetz. Das KEV- und Einmalvergütungs-System ist ein typisches Beispiel dafür, dass Anstösse notwendig sein können, um mit einem Gesetz einer neuen Technologie auf die Beine zu helfen. Doch das soll nicht zu einer dauerhaften Lösung verkommen. Ich gehe davon aus, dass der Strompreis in Zukunft eher steigen wird und es dadurch noch etwas rentabler wird, eine Photovoltaik-Anlage zu betreiben.
In Ihrem Kerngeschäft sind Sie Elektroplaner. 2014 haben Sie sich im Haustech-Interview beklagt, dass die Elektroplanung und das Elektro-Engineering in der Branche einen zu geringen Stellenwert haben. Ist dem heute noch so?
Gefühlsmässig hat sich nicht sehr viel verändert. Zwar engagieren Architekten vermehrt Elektroplaner. Doch aus meiner Sicht sind die Anforderungen, die von den Auftraggebern an sie gestellt werden, zu wenig ambitioniert. Praktisch alles, was heute mit Energie verbunden ist, ist am Schluss auch mit Strom verbunden. Die Trennung von Wärme und Energie aus dem Ölzeitalter ist nicht mehr zeitgemäss: Wärmepumpen, Heizungs- und Klimaregulierung, Fühlertechnologie – all dies ist auf elektrischer Energie aufgebaut. Gemessen an der hohen Verantwortung, die ein Elektroplaner in der Planung eines neuen Areals oder Gebäudes hat, ist mir der Stellenwert noch zu gering. Ich setze mich dafür ein, dass die ganzheitliche Rolle des Elektroplaners vermehrt von Projektentwicklern, Architekten und Generalunternehmern anerkannt wird.
Wie wollen Sie dies erreichen?
Es hilft sicher, möglichst viele gute Projekte zu realisieren, darüber zu sprechen, sie publik und sichtbar zu machen. Und natürlich wäre es wünschenswert, bei der Ausbildung von Elektroplanern und Elektrikern mehr über die Energie an sich zu sprechen. Gerade kürzlich habe ich einen gelernten Elektriker, der jetzt in der Planung tätig ist, gefragt, wie sich seine Stromrechnung zusammensetzt. Er konnte mir keine Antwort geben. Und dies obwohl er eine Grundausbildung als Elektriker und verschiedene Weiterbildungen absolviert hat und jeden Tag Verbraucher an das Stromnetz anschliesst. Dies ist sinnbildlich dafür, dass im Bildungssystem der ganzheitliche Ansatz etwas stärker in den Vordergrund treten sollte.
Einen ganzheitlichen Ansatz im Sinne der Vertretung unterschiedlicher Interessensgruppierungen verfolgt auch die KGTV, wo Sie vor einem Jahr das Präsidium übernommen haben. Wo steht der Verband im Moment?
Die KGTV wurde ursprünglich gegründet mit dem Ziel, aktiv auf die Energiestrategie 2050 Einfluss zu nehmen. Das ist uns gelungen: Wir haben einige Gesetzesartikel einbringen können, die heute verankert sind. Im vergangenen Jahr haben wir uns nun an die Umsetzung neuer Lösungen gemacht, die durch die Energiestrategie ermöglicht werden. Als Nächstes stehen nun die Revision des CO2-Gesetzes und die Energiegesetze (MuKen) in den Kantonen im Vordergrund. Auch davon ist die Gebäudetechnik ganz direkt betroffen. Diese Themen werden uns in der KGTV noch beschäftigen. Daneben stehen viele weitere spannende Projekte an.
Als KGTV-Präsident vertreten Sie viele Gruppierungen mit teilweise sehr unterschiedlichen Interessen. Was sind dabei die grössten Herausforderungen?
Die grösste Herausforderung besteht sicherlich darin, trotz aller Diversität einen gemeinsamen Geist zu entwickeln in Bezug auf die Gebäudetechnik – sodass wir alle eine gemeinsame Sprache sprechen können. Natürlich können wir nicht alle Einzelmeinungen abdecken, aber wir wollen zumindest sagen können: Ja, wir sind für Energieeffizienz, setzen uns dafür ein, den CO2-Ausstoss zu reduzieren und bieten Lösungen, dies konkret umzusetzen. Ob dies mit einer Wärmepumpe, einem Gebäudeautomationssystem oder einer Photovoltaikanlage geschieht, ist letztendlich gar nicht so relevant. Es geht uns darum, als Branche zusammenzustehen. Die Herausforderung für mich als Präsident besteht darin, gegen innen zu einen und gegen aussen mehr Sichtbarkeit zu erhalten.
Es ist ja eine sehr technisch geprägte Branche. Als Politiker in Bern müssen Sie aber oft Sachverhalte für Laien verständlich machen und Inhalte vereinfachen. Wie gelingt Ihnen das?
Das ist wohl die Kernfrage überhaupt. Als Branche müssen wir eine einfache Sprache finden, die auch auf der politischen Ebene verstanden wird. Ich bin selbst ja nicht nur in der Energie-, sondern auch in der Verkehrskommission tätig, und auch dort sind die Zusammenhänge sehr komplex. Ich sehe mich als jemanden, der etwas verändern und neue Lösungen suchen will. Da braucht es halt auch mal ein Blatt Papier und eine Zeichnung, um die Sachverhalte verständlich zu machen. Dies ist eine tägliche Herausforderung für mich. Bei der erwähnten Eigenverbrauchsregelung habe ich beweisen können, dass es mir gelingen kann, Mehrheiten für meine Anliegen zu gewinnen.
Sie sind ja nicht nur Unternehmer, Politiker und KGTV-Präsident – letztes Jahr haben Sie auch noch das Präsidium der Grünliberalen Partei Schweiz und des Verbandes Swiss eMobility übernommen. Wie bringen Sie all dies unter einen Hut?
Ich kann dabei verschiedene Synergien nutzen: Von meinem privaten und beruflichen Background her beschäftige ich mich naturgemäss ohnehin sehr stark mit den Themen Gebäudetechnik und Elektromobilität. Und durch mein Mandat als Nationalrat bin ich auf der politischen Ebene gut vernetzt. Aber natürlich haben Sie recht: Die verschiedenen Mandate unter einen Hut zu bringen, ist nicht immer einfach. Glücklicherweise darf ich mich auf die tolle Unterstützung meiner Familie und der jeweiligen Geschäftsstellen verlassen, die mir ermöglichen, effizient zu arbeiten – und sogar zwischendurch doch noch ein wenig Zeit für Familie und Hobbys zu finden.