In den Produktionsbetrieben der Industrie gibt es x Anwendungen, bei denen eine Hin-und-Her-Bewegung ausgeführt werden muss – etwa um eine Klappe zu öffnen oder ein Paket zu verschieben. Um solche Hin-und-Her-Bewegungen maschinell auszuführen, werden heute in der Regel Druckluftzylinder benutzt. Diese Zylinder arbeiten mit Druckluft, die zuvor in einem Kompressor mit elektrischer Energie erzeugt wurde. Gemäss einer Schätzung sind in der Schweiz zwei Millionen Druckluftzylinder im Einsatz, viele davon in den Produktionsmaschinen der Industrie. Hinzu kommen Anwendungen in Brandschutztüren, Muldenkippern oder Melkrobotern.
Druckluftzylinder (auch: Pneumatikzylinder) sind gut erprobt und heute für wenig Geld erhältlich. Energetisch gesehen sind sie indes keine ideale Lösung. Allein bei der Erzeugung der Druckluft mit elektrischem Strom geht fast die Hälfte der Energie als Wärme verloren. Weitere Verluste entstehen bei der Verteilung der Druckluft und bei deren Umsetzung in mechanische Energie. «Die mechanisch nutzbare Leistung beträgt nur 6 % der elektrischen Ausgangsenergie. So entstehen grosse Verluste, die zu einem schönen Teil vermeidbar wären. Wenn man berücksichtigt, dass heute rund 1,5 % des landesweiten Stromverbrauchs auf die Erzeugung von Druckluft entfallen, schlummert hier ein gewaltiges Einsparpotenzial», sagt Jeremias Wehrli.
Strom anstelle von Druckluft
Jeremias Wehrli hat sich in Winterthur an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) zum Maschinenbauingenieur ausbilden lassen. Zusammen mit Kollegen der ZHAW entwarf er den Prototypen eines Elektrozylinders. So kam es im Oktober 2020 zur Gründung der Cyltronic AG, unter deren Dach der Elektrozylinder zur Marktreife entwickelt wurde. Geschäftsführer Wehrli schrieb in seiner Masterarbeit einen Businessplan für das Jungunternehmen. Als Mitgründer stand ihm der Leistungselektronik-Entwickler Daniel Baumann zur Seite. Die Mission des Start-ups: Die weitverbreiteten Druckluftzylinder sollen durch energieeffiziente Elektrozylinder ersetzt werden. Anfang 2023 arbeiteten bei Cyltronic 12 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dieses Ziel hin.
Die Firma ist seit 2022 am Markt. Bis 2025/26 will sie kostendeckend arbeiten. Aktuell sind in einer Handvoll Unternehmen rund 100 Cyltronic-Elektrozylinder im Einsatz, in der Schweiz ebenso wie in Deutschland, Österreich und Italien. Die neuartigen Elektrozylinder sind im Vergleich zu Elektrozylindern, die andere Hersteller schon früher entwickelt haben, kompakter gebaut und weisen die gleichen Abmessungen wie pneumatische Zylinder auf, auch können sie einfacher eingestellt und angesteuert werden als frühere Elektrozylinder. Von Sommer 2021 bis Sommer 2022 wurden Prototypen der neuen Zylinder im Rahmen eines BFE-Pilotprojekts praxisnah erprobt und auf ihre Einsatztauglichkeit und Energieeffizienz hin untersucht. Jeremias Wehrli zieht ein positives Fazit: «Wir konnten zeigen, dass unser Elektrozylinder nicht nur funktioniert, sondern dass er in bestehenden Anwendungen Druckluftzylinder 1 zu 1 ersetzt und zu diesen eine energetisch sparsamere Alternative bietet.» Die Maschinensteuerung muss dabei nicht angepasst werden, weil der Elektrozylinder mit dem gleichen elektrischen Signal gesteuert wird wie zuvor der Druckluftzylinder.
93 % tieferer Stromverbrauch
Mit dem Ersatz von Druckluft- durch Elektrozylinder können nach Angaben des Projektteams durchschnittlich 93 % an elektrischem Strom eingespart werden. Grundlage der Berechnung war der Einsatz von Elektrozylindern in mehreren Pilotbetrieben. Einer davon war das Stihl Kettenwerk in Wil im Kanton St. Gallen, welches die Zylinder zum Öffnen und Schliessen von Ofenklappen einsetzt. Mit drei Elektrozylindern konnten gegenüber den vorher genutzten Druckluftzylindern 98 %, 89 % bzw. 82 % Strom gespart werden. Die jährliche Einsparung beträgt 1800 kWh im Gegenwert von knapp 380 Franken (wobei der Berechnung ein Standard-Strompreis von 21 Rp./kWh zugrunde gelegt wurde).
Minderausgaben in ähnlicher Höhe brachten drei Elektrozylinder in der Reismühle Nutrex in Brunnen (Kanton Schwyz). Die ersetzten Pneumatikzylinder konsumierten während ihrer Lebensdauer zusammen Druckluft mit einem energetischen Äquivalent von 44519 kWh (und Kosten von 9349 Franken). Mit dem Einsatz von Elektrozylindern sind es noch 2361 kWh bei Energiekosten von 496 Franken. Weitere Vorzüge der Elektrozylinder sind laut Cyltronic-CEO Wehrli ein tieferer Lärmpegel und kurze Anpassungszeiten bei Änderungen des Betriebsmodus.
Maschinenbauer im Fokus
Trotz solcher Vorzüge ist die Umstellung auf Elektrozylinder kein Selbstläufer. Ein Elektrozylinder von Cyltronic kostet rund 1500 Franken, also etwa sechsmal so viel wie ein Pneumatikzylinder (wenn man die Kosten für die Erzeugung der Druckluft nicht berücksichtigt). Die Amortisationszeit der Mehrkosten durch Energieeinsparungen beträgt sechs bis neun Jahre (auch hier gerechnet mit einem Strompreis von 21 Rp./kWh). Zwar kann die Amortisationszeit bei intensiver Nutzung (kurze Taktzeiten) deutlich kürzer sein, trotzdem bleibt Wehrli realistisch: «So eindrücklich die Energieeinsparung ist, so müssen wir doch einen zusätzlichen Mehrwert bieten, um die höheren Kosten für unseren Zylinder zu rechtfertigen.» Wehrli verweist in diesem Zusammenhang auf die Positionierfähigkeit der Cyltronic-Elektrozylinder, also die Möglichkeit, die Position der Hin-und-Her-Bewegung über eine Kommunikationsschnittstelle (IO-Link) exakt zu steuern. Auch liessen sich Geschwindigkeit und Kraft flexibel einstellen.
Pneumatikzylinder können in bestehenden Maschinen durch Elektrozylinder ersetzt werden. Damit eine Maschine aber komplett von Druckluft auf Strom umgestellt werden kann, müssen sämtliche Druckluftzylinder ausgetauscht werden. Das kann aufwendig werden, denn mitunter sind in einer einzigen Maschine bis zu 20 verschiedene Zylinder verbaut. Idealerweise werden Maschinen daher bereits bei der Herstellung mit Elektrozylindern bestückt. Das erleichtert Inbetriebnahme, Wartung und Betrieb. Vor diesem Hintergrund möchte Cyltronic seine Elektrozylinder künftig vorrangig an Maschinenbauer verkaufen.
Grosses Potenzial
Die Pilotanwender bewerten die Elektrozylinder von Cyltronic positiv. Man habe «sehr gute Erfahrungen von der Prüfung bis zur Umsetzung» gemacht, sagt Gerhard Marty, Geschäftsführer der Reismühle Nutrex in Brunnen. Laut Roy Baumann, Energiemanager beim Stihl Kettenwerk in Wil, bietet «insbesondere die frei wählbare Positionierung ohne zusätzliches Steuergerät einen hohen Zusatznutzen». Wie Gerhard Marty sieht auch er das bevorzugte Einsatzgebiet der Elektrozylinder beim Bau neuer Anlagen: «Wir sehen grosses Potenzial bei Neubeschaffungen von Anlagen, welche durch den Einsatz von Elektrozylindern komplett ohne Druckluftversorgung auskommen.»
Im Rahmen des BFE-Pilotprojekts wurden Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern von zwölf Maschinenbau-Unternehmen und 16 Endanwendern geführt. Die Antworten lassen darauf schliessen, dass Elektrozylinder in der Schweiz erst sporadisch zum Einsatz kommen. Entsprechend gross ist das Potenzial, sowohl beim Bau neuer Maschinen als auch beim Ersatz von Pneumatikzylindern in bestehenden Maschinen. Die Umfrage bei den Endanwendern ergab, dass Unternehmen pro Jahr mitunter mehrere Hundert Pneumatikzylinder ersetzen müssen. Entscheiden sich Maschinenhersteller für den Einbau von Elektrozylindern, verteuert das tendenziell ihre Produkte. Im Gegenzug können sie ihren Kunden geringere Betriebskosten aufgrund des deutlich tieferen Energieverbrauchs in Aussicht stellen.