Photovoltaik

Photovoltaikanlagen auf Hausdächern sind ein immer häufigerer Anblick in der Schweiz. (Bild: zvg)

PV-Anlagen fordern die Netzbetreiber

Bislang wurde Energie von wenigen grossen und zentralen Akteuren ins Netz eingespeist – den Kraftwerken. Nun gibt es immer mehr sogenannte Prosumer, die sowohl Produzenten als auch Konsumenten von Energie sind. Sie sind klein und dezentral – und stellen die Betreiber des Schweizer Stromnetzes vor grosse Herausforderungen.

Die Fukushima-Katastrophe 2011 verlieh der Energiewende auf der ganzen Welt neuen Schub. Damals beschloss der Schweizer Bundesrat, schrittweise aus der Kernenergie auszusteigen und künftig auf erneuerbare Energien wie Sonnen- oder Windkraft zu setzen. Diese Energien werden immer häufiger dezentral produziert, also nicht von riesigen Kraftwerken, sondern von kleinen Akteuren, etwa von Privatpersonen. 2020 gab es bereits über 117 000 solcher Photovoltaikanlagen in der Schweiz, Tendenz rasch steigend. Allein letztes Jahr wurden laut der Statistik Sonnenenergie des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) 19 410 neue Netzverbundanlagen installiert. Sie speisen den erzeugten Strom direkt ins Netz ein, ohne ihn zwischenzuspeichern.

Tausende Prosumerinnen und Prosumer

Diese Anlagen werden in der Regel von sogenannten Prosumern betrieben, also von Personen, die sowohl Strom produzieren als auch konsumieren. Am Netz der BKW Energie AG zum Beispiel sind bereits über 13 000 Photovoltaikanlagen angeschlossen. Das international tätige Energie- und Infrastrukturunternehmen mit Sitz in Bern ist der grösste Verteilnetzbetreiber der Schweiz und beliefert über eine Million Menschen mit Strom. Das BKW-Netz ist 22 000 Kilometer lang und reicht von der französischen Grenze über den Jura nach Solothurn und den Oberaargau bis ins Berner Oberland. Markus Eberhard, Head Energy Sales & Solution: «Wir haben mit gegen 1000 Anlagebetreiberinnen und -betreibern einen Betriebsvertrag. In diesen Fällen übernehmen wir unter anderem die Überwachung und Abrechnung der Photovoltaikanlagen.»

Der durchschnittliche BKW-Prosumer verbraucht rund einen Drittel des von ihm produzierten Stroms selber. Seine Anlage ist 10 kWp gross; die Abkürzung kWp steht für Kilowatt-Peak und gibt an, welche Höchstleistung in Kilowatt eine Photovoltaikanlage erbringen und ins Netz einspeisen kann.

Nicht zu viel und nicht zu wenig

Dass sich die Stromproduktion weg von wenigen grossen Marktteilnehmern hin zu vielen kleinen und dezentralen Akteurinnen und Akteuren entwickelt, die nicht nur Strom produzieren, sondern auch konsumieren, ist eine echte Herausforderung für das Stromnetz der gesamten Schweiz. Denn ein Stromnetz muss immer im Gleichgewicht sein, es darf vereinfacht gesagt nicht mehr Strom führen, als verbraucht wird. Julien Duc, Mediensprecher des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE): «Wird generell viel Energie in das Netz eingespeist, steigen Spannung und Frequenz, was die angeschlossenen Geräte stören oder sogar beschädigen kann. Wird generell zu wenig Energie eingespeist, sinken dagegen Spannung und Frequenz, was ebenfalls zu Fehlfunktionen führen kann. Wird punktuell viel eingespeist und an einem anderen Ort viel gebraucht, können Netzelemente überlastet werden und ausfallen.» Das Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch ist für die Stabilität des Netzes daher entscheidend.

Das Netz wird instabiler

Dieses Gleichgewicht zu erhalten, gehört zu den Aufgaben des Übertragungsnetzbetreibers Swissgrid. Das Unternehmen überwacht das Stromnetz dauernd. Dies geschieht anhand von 40 000 Messpunkten, die das Übertragungsnetz genau abbilden. Innert Sekunden werden damit rund 10 000 Messwerte verarbeitet, auf deren Grundlage bei Bedarf eingegriffen wird – zum Beispiel, indem die Stromproduktion von Wasserkraftwerken gedrosselt wird. «Diese Aufgabe wurde in den letzten Jahren deutlich anspruchsvoller, wie die stark steigende Anzahl Eingriffe in die Netze klar aufzeigen», so Julien Duc. «Die fossilen Kraftwerke müssen ersetzt werden, aber für den Netzbetrieb waren sie viel einfacher zu handhaben als die häufig nicht steuerbaren erneuerbaren Kraft­werke.»

Überschüsse kompensieren

Mit Wasserkraft- oder Atomkraftwerken konnte man die Nachfrage nämlich immer punktgenau befriedigen, jederzeit. Bei der Wende hin zu erneuerbaren Energien wird es viel schwieriger, genau die richtige Menge zu produzieren. Scheint die Sonne oder bläst der Wind, wird viel Energie erzeugt – manchmal mehr, als verbraucht werden kann. Wohin mit diesem Überschuss? Julien Duc: «Dann müssen Verbraucherinnen und Verbraucher entweder mehr Strom konsumieren, indem sie etwa heizen oder ein Elektrofahrzeug aufladen, oder die Produktion von anderen Erzeugern wie Wasserkraftwerken muss zurückgefahren werden.»

Mehr Sonnen-, konstante Wasserkraft

Im Stromnetz der BKW ist die Wende bereits Realität. Die installierte Leistung der Photovoltaikanlagen im BKW-Verteilnetz ist mit 273 Megawatt inzwischen höher als jene der Wasserkraftwerke mit 272 Megawatt. Und der Zubau an Anlagen und deren Leistung steigt weiter deutlich an. Das stellt das Verteilnetz buchstäblich auf den Kopf. «Denn jede neue Photovoltaikanlage kann dazu führen, dass das Verteilnetz ausgebaut werden muss, um einerseits die erzeugte Elektrizität aufnehmen zu können und andererseits, um eine unzulässige Spannungserhöhung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu vermeiden», schreibt die BKW auf ihrer Website. Vor allem an sonnigen Tagen bestehe ansonsten die Möglichkeit, dass die Spannung bei den Steckdosen im Haushalt 230 Volt übersteige – und das führe im schlimmsten Fall zu Schäden an den eingesteckten Geräten.

Smart-Grid

All diesen Herausforderungen muss das Schweizer Stromnetz künftig gerecht werden. Aber wie? Julien Duc: «Batteriespeicher, Power-to-Gas- oder Wärmekraftkopplungsanlagen: Sie alle werden Teile eines neuen Netzes. Wo sich früher wenige Unternehmen mit ihren eigenen Anlagen koordinieren mussten, werden künftig Tausende private Photovoltaikanlagen, Elektroautos, Heizungen und Batterien koordiniert werden müssen.» Im Fall von Elektroautos könne es zum Beispiel notwendig sein, die Ladevorgänge so zu beeinflussen, dass nicht alle gleichzeitig und gleich schnell laden. «Neuartige Netztarife oder notfalls auch direkte Eingriffe durch die Netzbetreiber wären dafür ein Ansatz.» Für Produktionsspitzen von Photovoltaikanlagen wird das sogenannte Peak-­Shaving diskutiert, das Kappen dieser Spitzen. «Photovoltaikanlagen kommen nur an wenigen Tagen im Jahr für wenige Minuten auf die maximale Produktionsleitung. Zu diesen Zeiten könnte die Einspeisung ins Netz reduziert werden, etwa indem dann eben das eigene Elektroauto aufgeladen wird.» Damit das aber funktioniere, brauche es mehr Intelligenz im Netz und in den Anlagen der Prosumer. «Zudem benötigen wir mehr Handlungsspielraum für Netzbetreiber, um neue Technologien, Tarifsysteme oder andere Innovationen zu testen», so Julien Duc.

Das Saisonspeicherproblem

Eine wichtige Rolle spielen dabei neue Speichermöglichkeiten. Julien Duc: «Aktuell sind Speicherseen die einzige Möglichkeit, Energie für Engpässe in grossen Mengen zu speichern, indem Wasserreserven zurückgehalten werden. Aber Pumpspeicherkraftwerke – oder auch Batterien – lösen das Saisonspeicherproblem nicht, denn sie können Energie nur vom Tag in die Nacht speichern. Die Frage ist, wie man den Stromüberfluss vom Sommer in den Winter und damit in die Zeit der Stromknappheit hinüberbringt.» Heute sei keine Technologie verfügbar, welche die Saisonspeicherung klimaneutral und zu annehmbaren Kosten erlaube.

Neue Technologien

Aber es wird intensiv daran gearbeitet. Das BFE hat letztes Jahr eine Übersicht zu verschiedenen Energiespeichertechnologien veröffentlicht, die sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden. Zum Beispiel Druckluftspeicher: Dabei wird Energie mechanisch gespeichert, indem ein elektrisch angetriebener Kompressor Aussenluft verdichtet. Diese Druckluft wird in einem Hohlraum, zum Beispel in einem Tank oder einer Felskaverne, zwischengespeichert, um bei Strombedarf eine Turbine anzutreiben und so wieder Strom zu erzeugen. Das Konzept wird laut der Übersicht bisher in zwei grösseren Anlagen in Deutschland und den USA eingesetzt, wobei der Wirkungsgrad bzw. die Effizienz von rund 40 und 52 Prozent einigermassen bescheiden ausfällt. Mehr verspricht man sich – zumindest in der Theorie – von adiabatischer Druckluftspeicherung. In diesem Bereich gab es in den letzten Jahren hierzulande grössere Forschungsaktivitäten. Bei diesem Konzept wird zusätzlich zur Druckluft auch die bei der Kompression entstehende Wärme mitgespeichert und wieder genutzt. Die berechnete Effizienz liegt bei 65 bis 75 Prozent. Eine Gesamtanlage ist bisher noch nicht realisiert worden, es wurden erst einzelne Komponenten auf Pilotebene erprobt. Weiter heisst es: «Der Bau solcher Anlagen wäre mit hohen Investitionskosten verbunden, und es ist offen, ob solche Speicher heute oder mittelfristig wirtschaftlich betrieben werden könnten.» Das Beispiel zeigt, dass bezüglich Speichertechnologien noch viel Wasser den Rhein hinablaufen muss. «Aber wenn wir das Saisonspeicherproblem erst gelöst haben, können wir auch alle anderen Probleme lösen», ist Julien Duc überzeugt.