Material, Stagnation und Temperaturen sind die drei «Kummerbuben» der Trinkwasserhygiene. Damit ihr Einfluss ausgeschaltet werden kann, gelten seit einigen Jahren neue Vorschriften für die Dichtheitsprüfung und Erstbefüllung von Trinkwasserinstallationen. Diese stossen nicht überall auf Begeisterung. Der Geschäftsführer einer grösseren Installationsfirma, der sich nicht namentlich äussern will, sagt am Telefon: «Viele unserer Kunden und auch wir selber sind mit den neuen Vorgaben nicht glücklich. Einzelne Kunden verlangen explizit, dass wir in ihren Objekten die Dichtheitsprüfung und Erstbefüllung anders umsetzen, als es in den Vorschriften verlangt wird. Das Thema ist ziemlich explosiv.»
Durchzogene Erfahrungen
Im Grunde genommen sind die neuen Vorgaben im Interesse der Gebäudebetreiber. Denn wenn die Installation hygienisch einwandfrei in Betrieb genommen wird, können viele spätere Probleme und Risiken vermieden oder zumindest reduziert werden. Doch mit dem Paradigmenwechsel harzt es. «In Nischenmärkten wie Spitälern, Hotels oder Altersheimen ist das Bewusstsein für die Trinkwasserhygiene bereits vorhanden. Doch bei der grossen Mehrheit ist das Thema noch gar nicht auf dem Schirm. Weder Bauherrschaften noch Betreiber sind sich bewusst, worauf zu achten wäre. Sie benötigen deshalb noch viele Informationen», sagt Joel Sigrist, Projektleiter Sanitärtechnik bei der Sada AG, Glattpark/Opfikon.
Ein Beispiel dafür ist die 72-Stunden-Regel. Sie gilt seit 2018 und besagt, dass das Trinkwasser innerhalb eines Gebäudes nach der Erstbefüllung maximal drei Tage oder eben 72 Stunden lang stagnieren darf. In der Theorie bedeutet dies, dass das Leitungsnetz nach der Dichtheitsprüfung mit Luft leer bleibt und erst kurz vor dem Bezug des Gebäudes befüllt wird. In der Praxis bleiben viele Installateure beim herkömmlichen Verfahren. «Wir belassen das System lieber mit Wasser gefüllt und spülen dafür regelmässig die Leitungen. Die Sicherheit auf der Baustelle ist besser gewährleistet, weil angebohrte oder beschädigte Rohre schneller erkannt werden», meint Sigrist. Ins gleiche Horn stösst Rolf Stadelmann, Abteilungsleiter Sanitär bei der Gallati AG, Luzern: «Wenn PE-X-Rohre mit Wasser gefüllt sind, merkt man eine Beschädigung sofort. Sind sie hingegen mit Luft gefüllt, nimmt der Verursacher womöglich gar nicht wahr, dass er einen Schaden verursacht hat. Und die Lecksuche wird dann sehr schwierig.» Ohnehin seien die Erfahrungen mit der 72-Stunden-Regel durchzogen, so Stadelmann: «Bis das Objekt an den Betreiber übergeben wird, kann diese Regel mit grossem Aufwand eingehalten werden. Wir mussten aber öfter feststellen, dass nach der Übergabe die Hygienemassnahmen gemäss unseren Vorgaben nicht wirklich eingehalten werden.»
Langsamer Wandel
Was können Installateure tun, um mit der 72-Stunden-Regel mehr Akzeptanz bei der Bauherrschaft zu finden? «Das Verständnis ist oft besser, wenn die Auftraggeber realisieren, dass es nicht um eine abstrakte Vorschrift, sondern um ihr eigenes Trinkwasser geht. Sehr hilfreich ist auch eine saubere Planung, die bereits vor der Ausschreibung auf diesen Punkt eingeht» erklärt Beat Waeber, Präsident Fachbereich Sanitär/Wasser/Gas bei Suissetec (vgl. Kasten). Gefragt sind also insbesondere die Sanitärplaner, welche ihre Kunden auf die neuen Vorschriften und deren Folgen aufmerksam machen müssten.
Genau bei der Ausschreibung liegt gemäss den Erfahrungen der befragten Installateure aber der Hund begraben. «Der Bauherr ist nicht bereit, mehr zu bezahlen. Das wird schliesslich bei der Vergabe mit eingerechnet», betont Rolf Stadelmann. Joel Sigrist ergänzt: «Manche Sanitärplaner tragen dem Mehraufwand zwar Rechnung. Im Marktpreis kann dies aber kaum umgesetzt werden. Die Zusatzpositionen verschwinden irgendwann, und dann muss man den Aufwand zwar leisten, erhält aber keinen Mehrpreis dafür.» Dies sei nicht die Schuld der Bauherrschaft, sondern ein Branchenproblem: «Auch wenn man den Mehraufwand sauber kalkuliert, wird man trotzdem mit den billigen Anbietern verglichen.»
Luftig oder bodenständig?
Ein zweiter Zankapfel ist die Dichtheitsprüfung mit Luft. Die Absicht dahinter ist klar: Statt die Trinkwasserleitungen Wochen oder gar Monate vor der Abnahme mit Wasser zu füllen, welches dann über lange Zeit stagniert, soll die Festigkeit der Verbindungen mit Luft geprüft und die Installation erst kurz vor der Übergabe - eben 72 Stunden - befüllt werden. Aus hygienischer Sicht ist diese Regel sicherlich sinnvoll: Wo kein Wasser ist, kann sich in den Leitungen auch keine problematische Mikrobiologie entwickeln. Doch auch hier gibt es grosse Unterschiede zwischen Theorie und Praxis. «Diese Vorgaben stellen uns Installateure vor eine grosse Herausforderung. Wir erleben zum Beispiel, dass Leitungsabschnitte mit PE-X-Verschraubungen trotz Installation mit den richtigen Werkzeugen und korrekter Druckprobe mit Luft keinen Druckabfall aufweisen, jedoch bei der Festigkeitsprüfung mit Wasser eine Undichtheit zum Vorschein kommt. Die Fehlersuche kurz vor Übergabe an die Bauherrschaft beansprucht dann sehr viel Zeit und verursacht zusätzliche Kosten», sagt Stadelmann.
«Die Dichtheitsprüfung mit Luft und relativ tiefen Drücken ist leider nicht gleichwertig mit der konventionellen Festigkeitsprüfung mit hohem Druck und Wasser. Das gilt beispielsweise bei Verpressungen mit der falschen Einstecktiefe. Sie können beim Test mit Luft durchaus standhalten. Sobald aber Wasser mit höherem Druck auf das System gegeben wird, kann es das Rohr aus dem Fitting ziehen», gibt Sigrist zu bedenken. Das Suchen von Fehlern oder schadhaften Stellen sei im Rohbau deutlich einfacher als kurz vor der Übergabe: «Dann sind sowieso alle unter Druck, und unter Umständen müssen wir fertig geflieste Wände aufspitzen, um an die Leitung heranzukommen.» Diese Nachteile wögen auf der Baustelle schwer, meint Sigrist. Trotzdem kann er der Druckprüfung mit Luft auch positive Seiten abgewinnen: «Im Winter gibt es keine Frostgefahr mehr, und auf Spülungen kann man auch verzichten. Zudem machen die detaillierten und sauberen Prüfprotokolle der neuen Geräte einen sehr guten Eindruck bei der Bauleitung und der Eigentümerschaft.»
Bewusstsein fördern
Obwohl die beiden neuen Verfahren für Dichtheitsprüfung und Erstbefüllung aus Sicht der Forschung sinnvoll sind, ist ihre Umsetzung auf der Baustelle bisher nur teilweise möglich. Störend ist insbesondere das Risiko, beschädigte Leitungen oder fehlerhafte Verbindungen erst dann zu erkennen, wenn der Innenausbau bereits abgeschlossen ist und die Behebung der Schäden sehr viel Zeitaufwand und Kosten verursacht. Ebenso ist zu bedenken, dass die Funktionsprüfung von Sanitärapparaten oder Abflüssen auf der Baustelle nur mit Wasser möglich ist – wer mit leeren Leitungen arbeitet, muss für diesen Zweck also provisorische Zuleitungen ziehen. Je nach Baustelle und Objekt ist zudem der Wasserbedarf der anderen Handwerker ein weiterer Punkt, den es zu beachten gilt.
Installateure, die nicht auf wassergefüllte Leitungen verzichten wollen, aber dennoch die Hygieneregeln einhalten, müssen deshalb mit einigem Mehraufwand für regelmässige Spülungen rechnen. Aus pragmatischer Sicht dürfte es aber immer noch weniger schlimm sein, einen gewissen Mehrverbrauch von Wasser und Strom in Kauf zu nehmen, als Hygieneprobleme zu riskieren. Wichtig scheint vor allem, dass die Bauherrschaften und Betreiber den Paradigmenwechsel bei der Trinkwasserhygiene zur Kenntnis nehmen. Damit sie dies tun, müssen insbesondere die Sanitärplaner zusammenstehen und die zusätzlichen Leistungen konsequent in die Ausschreibung aufnehmen. Denn die Botschaft ist klar: Zusätzliche Sicherheit ist etwas wert – aber sie darf nicht gratis sein.
Der vollständige Beitrag ist in p+i 02/21 erschienen.