Die Schweiz hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: Bis im Jahr 2050 soll unser Land klimaneutral sein und der Energieverbrauch pro Person um 53% gegenüber dem Jahr 2020 gesenkt werden. Diese Ziele lassen sich nur erreichen, wenn auch die Gebäudebranche kräftig mithilft – denn über 40% des Energieverbrauchs und rund ein Drittel der CO2-Emissionen fallen im Gebäudebereich an. Die Aufgaben sind immens: Etwa 900‘000 fossile Heizungen müssen durch erneuerbare Heizsysteme ersetzt, über 1 Million Gebäude energetisch saniert und die Stromversorgungen der Gebäude vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt werden.
Aktueller und künftiger Fachkräftemangel
Allerdings fehlen der Branche schon heute Fachkräfte – auf allen Stufen und in fast allen Bildungsrichtungen. Die Betriebe sind laufend auf der Suche nach neuen Mitarbeitenden und können teilweise Aufträge aufgrund mangelnder Personalressourcen nicht annehmen. Der Fachkräftemangel ist nicht neu, wie Studien aus den 2010er-Jahren zeigen, doch das Problem hat sich in den letzten Jahren verschärft. Und eine Trendwende zeichnet sich nicht ab, im Gegenteil: Aufgrund des demografischen Wandels wird die Zahl der Lehreintritte generell abnehmen. Entscheidend wird dann sein, ob es der Gebäudebranche gelingt, sich im Wettbewerb um den Nachwuchs gegen andere Branchen zu behaupten. Zuletzt haben sich immer weniger Auszubildende für eine Lehre im Gebäudebereich entschieden, während es etwa auf die KV-Lehrstellen einen Grossandrang gab. Zu beobachten ist auch, dass sich viele Fachkräfte von der Baubranche abwenden und in andere Branchen einsteigen. Dieser Abwanderung steht keine entsprechende Zuwanderung von Quereinsteigenden gegenüber, wodurch sich der Fachkräftemangel verstärkt.
Branche sucht gemeinsam nach Lösungen
Um Gegensteuer zu geben, hat EnergieSchweiz, das Programm für erneuerbare Energien und Energieeffizienz des Bundesamts für Energie (BFE), vor zwei Jahren Diskussionsrunden mit allen wichtigen Vertreterinnen und Vertretern der Gebäude- und Bildungsbranche initiiert. Gemeinsam haben sie eine Roadmap für eine «Bildungsoffensive Gebäude» mit 32 Massnahmen in vier Handlungsfeldern erarbeitet, welche die Branche mit Unterstützung des BFE und weiteren Bundesstellen in den nächsten Jahren umsetzen will.
In der formalen Bildung sollen beispielsweise die Ausbildungsinhalte laufend den Bedürfnissen der Wirtschaft angepasst und Lernende durch Ausbildungscoaches unterstützt werden. Zudem soll das Potenzial von Quereinsteigenden besser genutzt werden. Im Bereich der nicht-formalen Bildung soll ein attraktives Weiterbildungsangebot die Fachkräfte auf die Herausforderungen im Gebäudebereich vorbereiten und die Fachkompetenzen stärken. Auch soll das Image und die Attraktivität der Branche und der Berufe verbessert werden, zum Beispiel durch moderne Arbeitszeitmodelle und Frauenförderung. Schliesslich gilt es, die branchenübergreifende Zusammenarbeit zu intensivieren.
Erste Projekte gestartet
Seit dem Start der «Bildungsoffensive Gebäude» im Januar 2022 hat sich bereits einiges getan: So haben beispielsweise der Verband Swissolar und das Bildungszentrum Polybau erste Schritte im Hinblick auf einen neuen Lehrberuf (EFZ, EBA) mit Fokus auf die Solarinstallation unternommen. Der Einbau von Solaranlagen in Fassaden, Balkongeländer oder Terrassen wird gerade im Hinblick auf die Gewinnung von Winterstrom immer wichtiger, mit dem neuen (sechsten) Lehrberuf im Bereich Gebäudehülle soll diese Nachfrage abgedeckt werden. Der Fahrplan ist ehrgeizig: Im Sommer 2027 sollen die ersten Solarinstallateure/Innen ihre Lehre abschliessen. Ein weiteres Beispiel sind die geplanten Weiterbildungskurse des Schweizerischen Architekten- und Ingenieurvereins SIA zum Thema «klimagerecht bauen». In dieser Kursreihe sollen die Teilnehmenden befähigt werden, Gebäude so zu planen, dass der Ausstoss von grauen Emissionen in der Erstellung reduziert und die Gebäude nach der Erstellung ökologischer betrieben werden können. Auch die Elektrobranche hat ein erstes Projekt lanciert: Der Verband EIT.swiss unterzieht derzeit seine Berufe der beruflichen Grundbildung (BGB) und der höheren Berufsbildung (HBB) einer Basisanalyse und nutzt dabei ein Beratungsangebot von EnergieSchweiz und dem Bundesamt für Umwelt BAFU. Ziel ist es, die wichtigsten Energie-, Klima- und Ressourcenthemen in der ganzen beruflichen Wertschöpfungskette zu eruieren und Zukunftstrends sowie die entsprechenden nötigen Kompetenzen aufzuzeigen.
Neben der Branche und den Bildungsinstitutionen setzt auch EnergieSchweiz erste Projekte um. So wurde eine Supportstelle für Projekteingaben geschaffen, welche die Akteure bei der Projektentwicklung und -eingabe unterstützt. In Zusammenarbeit mit der Branche entsteht zudem eine Artikelserie über die Bildungsoffensive, die in zehn Fach- und Verbandszeitschriften publiziert wird. Der vorliegende Artikel markiert den Auftakt zu dieser Serie.
Die Förderangebote von EnergieSchweiz
EnergieSchweiz berät und unterstützt die Gebäude- und Bildungsbranche beim Aufbau von Projekten im Rahmen der Bildungsoffensive Gebäude. Interessierte Verbände sowie private und öffentliche Bildungsorganisationen können mit dem BFE Kontakt aufnehmen unter energiebildung(at)bfe.admin.ch.
Finanziell unterstützt werden allgemeine Bildungsprojekte sowie spezifische Kurse und Lehrgänge für Fachpersonen. Finanzhilfen können gewährt werden z. B. für den Aufbau neuer Bildungsangebote, für die Entwicklung und Durchführung von Bildungsprojekten sowie deren Transfer in andere Sprachregionen oder für die Weiterbildung von Lehrpersonen, Referierenden und Bildungsfachleuten.
Weitere Informationen unter www.energie-schweiz.ch (Projektförderung Bildung).
„Es braucht noch mehr attraktive Anstellungsbedingungen“
Interview mit Cristina Schaffner, Direktorin von Bauenschweiz:
Warum engagiert sich der Dachverband Bauenschweiz für die Bildungsoffensive Gebäude?
Cristina Schaffner: Für den Gebäude- und Infrastrukturpark sowie für das Bauen ist in den letzten Jahren ein klares Klimaziel definiert worden. Wir sind somit als Bauwirtschaft stark gefordert. Für den nötigen Wandel braucht es qualifizierte Fachleute. Genau hier setzt die Bildungsoffensive an. Zugeschnitten auf die einzelnen Teilbranchen und Jobprofile können unsere Mitgliedverbände gemeinsam Aus- und Weiterbildungsinitiativen ins Leben rufen und mit Unterstützung der Bildungsinitiative umsetzen.
Der Fachkräftemangel liesse sich reduzieren, wenn mehr Frauen für die Berufe der Gebäudebranche gewonnen würden: Ihr Anteil beträgt in der Branche gerade mal 15%. Wie lässt sich der Frauenanteil erhöhen?
Mit noch mehr attraktiven Anstellungs- und Arbeitsbedingungen. Das ist aus meiner Sicht generell eine Voraussetzung, um qualifizierte, motivierte Fachleute in die Branche zu bringen und auch zu halten. Bei Bauenschweiz gibt es verschiedene Berührungspunkte zu diesem Thema. So setzt sich beispielsweise eine Arbeitsgruppe für eine bessere Koordination der Baustelleninstallationen über den ganzen Bauprozess ein. Eine aufgeräumte, gut organisierte und damit gut funktionierende Baustelle ist das sichtbarste Aushängeschild für die Branche und stärkt die Attraktivität der Berufe.