Anfang der 1990er-Jahre wurde in Deutschland der Telekommunikationsmarkt liberalisiert, was zuerst im Mobilfunk sichtbar wurde. Denn neben der Telekom und der neu in den Markt eingetretenen Mannesmann Mobilfunk (heute Vodafone Deutschland) kamen später auch E-Plus und O2 hinzu. Trotz bedeutend höherer Kosten für die Funklizenzen wurde bald einmal mit harten Bandagen gekämpft. In der Schweiz lief es damals noch deutlich beschaulicher ab. Die digitale Mobilfunkära startete hier im März 1993 auf dem Genfer Autosalon. Dort gab die damalige Telecom PTT den Startschuss für GSM. GSM steht für «Global System for Mobile Communications», dem ersten digitalen Mobilfunkstandard (2G). Er löste alle mobilen Analognetze (1G) schrittweise ab und brachte in der Schweiz unter der Bezeichnung «NATEL D GSM» den Wechsel auf digitale Funkkanäle. Zudem wurde das Netz nicht mehr lokal bei den Vermittlungsstellen, sondern zentral über eine Client-/Server-Architektur basierend auf damals topmodernen UNIX-Rechnern gemanagt – eine weithin unbemerkte Revolution, welche den Netzbetrieb deutlich vereinfachte.
Noch Mitte der 1990er-Jahre kostete ein GSM-Telefon einige tausend Franken, was den Kundenkreis anfangs einschränkte. Aber digital war modern, und so liessen sich Herr und Frau Schweizer den Fortschritt gerne etwas kosten. Bereits 1997 wurde das erfolgreiche analoge C-Netz abgeschaltet, weil (analog zu heute) das 900-MHz-Band begehrt und das digitale D-Netz deutlich besser war, sei es bei der Abdeckung als auch bei der höheren Verständigungsqualität. 1996/97 folgten mit Diax (heute Sunrise) und später Orange (heute Salt) weitere GSM-Anbieter. Die Liberalisierung der Schweizer Telekommunikation begann, und die sinkenden Margen halten bis heute an.
Erste mobile Datenübertragung ab Notebook
GSM wurde eigentlich vor allem für das mobile Telefonieren ausgelegt. Denn ähnlich wie das damalige X.25 im Festnetz (in der Schweiz «Telepac» genannt) erlaubte GSM eine Datenübertragung mit lediglich 9,6 Kbit/s, später im besten Fall mit 14,4 Kbit/s. Als Swisscom ab April 2001 via Kanalbündelung bis zu 4 ×14,4 Kbit/s, also max. 57,6 Kbit/s ermöglichte, wurde mit dem Slogan geworben: «Dank HSCSD viermal schneller mobil ins Internet» (High-Speed Circuit Switched Data). Rückblickend regen solche Bruttobit-Raten notabene eher zum Schmunzeln an.
Es leuchtet schnell ein, dass auch die 64 Kbit/s von ISDN keinen Geschwindigkeitsrausch hervorrief. Damit dauerte die Übertragung eines 2-MB-grossen Files über eine halbe Minute, in der Praxis jedoch meist deutlich länger. Denn sowohl ISDN als auch HSCSD funktionierten leitungsvermittelt, was für den Transport von Datenpaketen ineffizient ist, weil die Leitung unabhängig von der effektiv fliessenden Datenmenge während deren Transfers dauernd belegt ist. So besetzten die mobilen Surfer wertvolle GSM-Kanäle, die man für die boomende Mobiltelefonie dringender benötigte. Das ungeliebte HSCSD verschwand daher schnell wieder.
Paketvermittelte Mobilkommunikation
So entstand im GSM-Netz der bis heute aktive General Packet Radio Service (GPRS) mit anfangs rund 50 Kbit/s, was zwar immer noch langsam war, aber immerhin paketvermittelt ablief. Denn alle Computer kommunizieren traditionell paketorientiert untereinander, sodass die bisher nötigen Modems für den Leitungsaufbau entfielen. Übrigens war auch das hierzulande 2004 eingeführte UMTS/3G (Universal Mobile Telecommunications System) zunächst eher für die Sprachkommunikation optimiert. Zwar boten alle drei Provider vom Start weg die Möglichkeit zur Datenübertragung. Jedoch waren die vollmundig in der Werbung angepriesenen 2 Mbit/s als Bruttorate pro Zelle (!) zu verstehen und wurden unter allen Nutzern aufgeteilt. In der Realität blieben einige 100 Kbit/s oder weniger übrig. Bei 3G dauerte es rund acht Jahre, bis dank High Speed Packet Access (HSPA) und dessen Weiterentwicklung (HSPA+) bis zu 84 Mbit/s (Download) bereitstanden. Allerdings blüht UMTS aufgrund dessen ineffizienter Frequenznutzung dasselbe Schicksal wie GSM, vermutlich ab 2025.
Ursprung von M2M
Bereits in den 1990er-Jahren entstand die Idee, via Sensoren erfasste Messdaten über öffentliche Mobilfunknetze zu übertragen. Dies ist bis heute besonders an Orten von Interesse, an denen keine Festnetzleitungen vorhanden sind. So sind in der Schweiz vorwiegend auf den alten GSM-Netzen mehrere hunderttausend SIM-Karten nur für kurze Datenübermittlungen im Einsatz. Oft wird nur ein Datensatz pro Tag übertragen, etwa für Wetterdaten, Wasserstände, Temperaturen oder Füllstände in Anlagen und Automaten. Auch die wegen des Klimawandels zunehmend wichtige Überwachung von Felsbewegungen gehört dazu, wobei die Messungen hier laufend und nicht nur sporadisch erfolgen. Diese Anwendungen fasst man unter dem Begriff M2M-Kommunikation zusammen (Machine to Machine). In der M2M liegen auch die Wurzeln des Internets der Dinge (Internet of Things, IoT). Auch wenn man beim Design von GSM und UMTS das Thema IoT für Science-Fiction hielt, so wächst dieser Bereich doch stetig. Und die damals noch quälend langsame Datenübertragung reicht für M2M aus – in vielen Fällen sogar bis heute. Dazu werden spezielle Daten-SIM-Karten benutzt.
Abschaltung auf Raten
Nun haben sich also zumindest Salt und Swisscom von GSM verabschiedet, weil die freiwerdende Funkkapazität dringend für 4G/LTE (Long Term Evolution) und 5G benötigt wird. Denn beide von GSM genutzten Frequenzen (900 MHz und 1800 MHz) eignen sich zur Erschliessung von Gebäuden, besonders die tiefere. Man wird jedoch den Eindruck nicht los, dass die Abschaltung kaum jemanden zu interessieren scheint. Das mag daran liegen, dass der Anteil des Sprachverkehrs am Gesamtverkehr verschwindend klein ist und der GSM-Datenverkehr – mangels möglicher Volumina – ebenfalls sehr überschaubar ist.
So sind es Anhänger von Klassikern wie dem 1999 eingeführten Handy Nokia 3210, dass vor einiger Zeit nochmals neu aufgelegt wurde und mit dem 3310 sogar einen Nachfolger erhielt – mit Farbdisplay und extra grossem Akku, 2-MP-Kamera, MP3-Player und weiteren Features. Nokia blieb bei der puren 2G-Konnektivität und dem klassischen Design nach Motto: Telefonieren, SMS schicken und Snake spielen. Wenig technikaffinen Nutzern reicht das völlig aus (etwa 8 bis 10 % aller Voice-Nutzer). Aufgrund der IMEI (International Mobile Equipment Identity) des Endgerätes wissen die Netzbetreiber bei Voice sehr genau, welche Endgeräte ausschliesslich mit GSM funktionieren. Deren Nutzer wurden mit SMS auf das Ende von GSM hingewiesen. Bei Data ist die Situation jedoch diffuser, weil nicht immer klar ist, wer die SIM-Karte nutzt und wo bzw. für welchen Zweck sie eingesetzt wird.
In der Schweiz müssen sich gemäss Parlamentsbeschluss vom Oktober 2004 alle Nutzer einer Prepaid-Karte registrieren lassen. Betroffen waren SIM-Karten, die ab November 2002 in Betrieb genommen wurden, womit immerhin 2,3 Millionen vor diesem Stichtag registrierte SIM-Karten nicht erfasst sind. Dazu zählen eine grosse Anzahl reiner Daten-SIM-Karten, die interessanterweise nicht erwähnt werden, obwohl sie die Mehrzahl ausmachen dürften. Zudem wurde bis Ende 2019 die Registrierung neuer SIM-Karten bei weniger seriösen Verkäufern eher lasch gehandhabt, bis teils empfindliche Bussen verhängt wurden. Somit sind Hundertausende nicht registrierte SIM-Karten im Umlauf, was die Abschätzung erschwert, wie viele Nutzer von der GSM-Abschaltung effektiv betroffen sind. Absolute Zahlen zu den betroffenen Kunden werden von keinem Schweizer Anbieter genannt.
Was die Provider sagen
Bei Salt nutzt nur noch «eine sehr kleine Minderheit der Kunden» ein Gerät, das ausschliesslich 2G-fähig ist. Bis zur Abschaltung auf Ende 2020 liefen mehrere SMS-Kampagnen zur Deaktivierung von 2G inklusive eines Angebots für ein neueres Mobilgerät. Geschäftliche Nutzer einer Salt-SIM für 2G-M2M wurden bereits mit einer grösseren Vorlaufzeit als reine Voicekunden informiert mit der Aufforderung, ihr Equipment durch eine 3G-kompatible Geräteausrüstung zu ersetzen. Nach Angaben von Salt sollen M2M-Dienste über das 3G-Netz bei 99,4 % Abdeckung weiterhin verfügbar bleiben. «Die Deaktivierung der 3G-Technologie ist derzeit nicht in Planung, da der Anteil nicht 4G-kompatibler M2M-Geräte in den nächsten Jahren voraussichtlich relativ hoch bleibt», meint Salt-Sprecherin Elvira Bruggmann.
Neben Salt hat auch Swisscom den GSM-Netzbetrieb auf Anfang 2021 beendet und verweist auf Ihrer eigens eingerichteten Themenseite explizit auf Alarmanlagen, Liftnotrufe, Sensoren und Fernsteuerungen (z. B. für Heizungen). Betroffene Kunden wurden wo immer möglich direkt informiert, können im Zweifelsfall aber auch die Hotline kontaktieren oder ein SMS mit dem Stichwort 2G an 444 senden. 3G wird bei Swisscom bei über 99,9 % Abdeckung noch bis mindestens Ende 2024 weiterbetrieben, was für M2M-Nutzer eine gute Nachricht ist. Diese werden frühzeitig (mindestens drei Jahre vorher) über eine mögliche 3G-Abschaltung informiert. Als zukunftssichere Ersatztechnologien für M2M auf 2G und 3G bieten sich das hauseigene LoRa-Netz sowie das flächendeckend ausgebaute 4G-Netz an.
Bei Sunrise ist der grösste Teil der Privat- und B2B-Kunden mit 3G-/4G-/5G-fähigen Geräten ausgerüstet und kann von den neuen Technologien profitieren, dies auf 96,3 Prozent der Landesfläche und für über 99,9 Prozent der Schweizer Bevölkerung. Einige Privatkunden und Unternehmen nutzen nach wie vor M2M-Dienste via 2G. Deshalb hat Sunrise zusammen mit Huawei eine Lösung entwickelt, die es allen Kunden erlaubt, 2G noch bis mindestens Ende 2022 weiter zu nutzen. «Je nach Anforderung des Kunden (Grösse des Unternehmens, Region, M2M-Lösung, zusätzliche Installationen im Gebäude nötig etc.) wird eine individuelle, zum Teil kostenpflichtige Lösung erarbeitet», so Sunrise-Sprecher Rolf Ziebold. Mit Blick auf 3G sagt er: «Für 4G gibt es keine Pläne zur Abschaltung. Auch wenn 2G und 3G heute kaum noch ein relevantes Datenvolumen übertragen, so werden noch über ein Drittel der Mobilfunkgespräche insbesondere über 3G geführt. Und es bestehen weiterhin viele M2M-Anwendungen mit 2G- und 3G-Modems.»
Zahlreiche Anwendungen betroffen
Von Drittanbietern wie dem Elektronikfachhandel wurden bis vor kurzem noch Anlagen verkauft, welche GSM als Funkschnittstelle nutzen. Auf dessen Abschaltung wurde erst spät hingewiesen. Zu diesen Anlagen zählen neben Antennen und universell einsetzbaren Empfängern auch Notruftelefone in Liftanlagen. Letztere benötigten wegen der Abschaltung des analogen Telefonnetzes und dem erzwungenen Wechsel auf All IP spätestens auf Anfang 2018 eine Ersatzanbindung. Auch ein sehr renommierter Schweizer Lifthersteller bot seinen Kunden noch 2017 eine GSM-Anbindung und nur auf explizites Nachfragen ein teures UMTS-Modul an, deren Nutzung ab 2023/24 ebenfalls fraglich sein wird. Daneben sind bei Firmen und privaten Nutzern viele Alarmanlagen sowie GSM-Fernsteuerungen für Anlagen der Haustechnik betroffen (Storen, Licht, Warmwasser, Heizungen etc.).
Frühzeitige Umstellung im Kanton Bern
Das Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern (AWA) überwacht die Qualität der Oberflächengewässer und des Grundwassers. Dabei ist die Vielfalt der rund 11000 Kilometer Fliessgewässer im Kanton Bern enorm – vom klaren, sprudelnden Gebirgsbächlein bis hin zu meist träge fliessenden Flüssen. Das AWA stellt die öffentliche Wasserversorgung sowie die Abwasserentsorgung im Kanton Bern sicher und reguliert die Wasserstände des Brienzer, Thuner und Bieler Sees. An rund 170 Messstationen werden hydrometrische Daten wie Abflussdaten, Wasserstände und Wasserqualität, aber auch wetterrelevante Daten wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit erfasst. Nach Angaben von Simon Jaun, Fachbereichsleiter Hydrometrie beim AWA, werden an 90 Grundwassermessstationen der Grundwasserpegel und die Grundwassertemperatur erfasst. Diese werden 2- bis 4-mal pro Tag über das 4G-Mobilfunknetz von Swisscom übermittelt. Die vom AWA erfassten Daten werden auf dem GeoPortal des Kantons Bern öffentlich zur Verfügung gestellt. Das AWA hat kein Problem mit der Abschaltung von GSM, da die Messstationen bereits vor Jahren auf das zukunftssichere 4G gewechselt wurden. Sinnvollerweise werden dabei Postpaid-SIM-Karten verwendet.
Ersatztechnologien für GSM
Wenn es um M2M-Anwendungen bzw. IoT geht, so stehen mit LoRa sowie mit NB-IoT und Cat. M1 (beide auf 4G) verschiedene Alternativen als Ersatz für GSM zur Verfügung:
- Das LoRa WAN (Long Range Wide Area Network) basiert auf einem internationalen Industriestandard und wird seit 2016 auch in der Schweiz betrieben. Wegen der nur sehr kleinen Sendeleistungen bietet es im Gebäude nur sehr beschränkte Reichweiten und Datenraten. Da diese vom typischen IoT-Anwender nicht gefordert werden, eignet sich LoRa mit Sender vor Ort durchaus für unkritische IoT-Anwendungen, z. B. zur Gebäudebewirtschaftung. Dieser Sender muss meist vom Nutzer beschafft und betrieben oder beim Telko-Anbieter bestellt werden, insbesondere bei IoT-Anwendungen innerhalb von Gebäuden oder an abgelegenen Orten.
- Das Narrowband-IoT (NB-IoT) wurde im internationalen Standard 3GPP Rel. 13 definiert. Dabei handelt es sich um eine funktionale Erweiterung des 4G/LTE-Netzes. Es eignet sich für hohe Endgerätedichten bei geringer Bandbreite, also für kurze Übermittlungen oder gelegentliche, zeitunkritische Abfragen.
- LTE-M (oder Cat. M1) entstammt derselben Spezifikation wie NB-IoT und ist ebenfalls eine LTE-Erweiterung. Im Gegensatz zu NB-IoT eignet sich Cat. M1 auch für qualitätssensitive IoT-Anwendungen. Zudem unterstützt es auch Sprachübertragungen parallel zur Datenübertragung, was z. B. für Sicherheitsdienste interessant ist.
5G landesweit ausgebremst
Mit 5G wird seit 2019 eine Funktechnologie auf dem Schweizer Markt eingeführt, die betreffend Effizienz und Datentempo deutlich mehr leistet und zudem praktisch alle heute denkbaren Anwendungen unterstützt. Dank hohem Datentempo, hoher spektraler Effizienz und sehr tiefer Latenz von nur wenigen Millisekunden steht 5G im Interesse der M2M-Systemanbieter. Leider hapert es bei dessen Ausbau, denn rund 90 Prozent aller 5G-Anlagen warten auf eine Baugenehmigung. In den vier Westschweizer Kanton sind diese generell sistiert, und auch in anderen Teilen der Schweiz herrscht grosse Unsicherheit und Unruhe beim Thema 5G. Von Flächendeckung für die Wirtschaft und die Gesamtbevölkerung kann auch 2021 daher noch keine Rede sein, sodass bis auf weiteres 4G und LoRa als Ersatztechnologien für GSM im Fokus stehen.