Die Covid-19-Massnahmen wirken sich weltweit negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung und Beschäftigungslage aus. Die Unterstützungsmassnahmen für über 20 Mia. Franken in der Schweiz können zwar im Moment einen massiven wirtschaftlichen und sozialen Absturz verhindern. Die mittel- und längerfristigen Perspektiven sind jedoch offen. Dabei drängt sich der gleichzeitige Einbezug der Klimakrise mit griffigen Lösungsansätzen auf.
Am Event von energie-wende-ja in der Umweltarena in Spreitenbach wurde eine nachhaltige Positionierung zur Sicherung der Beschäftigung und der Klimagerechtigkeit thematisiert. Dabei gaben sich Ruedi Meier, Präsident energiewende-ja, und Vorstandsmitglied Walter Ott, Ökonom und Elektroingenieur ETH, überzeugt, dass mit einem gezielten Impulsprogramm, das sie im Frühjahr, angeregt durch energie-wende-ja und Greenpeace, ausgearbeitet hatten, ein klimafreundlicher Wiederaufbau der Wirtschaft nach den coronabedingten Turbulenzen möglich wäre. Das Programm baut auf den Sofortmassnahmen des Bundesrats auf. Meier und Ott schlagen vor, zusätzlich je rund 15 Mia. Franken für die vorgeschlagene Nachfragestützung bzw. für ein Impulsprogramm 2020/2030 einzusetzen. Die Finanzierung soll über den Bund in Kooperation mit der Schweizerischen Nationalbank sichergestellt werden. Ziel des gesamten Programms soll es sein, die Wirtschaft aus der Talsohle herauszuholen und gleichzeitig die Anforderungen an eine nachhaltige, klimagerechte Wirtschaft und Gesellschaft zu erfüllen.
Gewappnet für die kommenden Herausforderungen
Ruedi Meier, erklärte in seinem Referat schlüssig die Erkenntnisse aus seiner Studie zu «COVID-19 – Klimakrise – Konjunktur-Impulsprogramm 2020/2030»: «Die jetzige Lage wird uns einen grösseren wirtschaftlichen Einbruch bescheren und eine längere Erholungsdauer bedingen - einen Wertschöpfungsverlust bzw. Schadenskosten von insgesamt 135 bis 270 Mia. Franken für 2020/2021. Die ganze Sache wird uns noch länger beschäftigen und wir werden die nächsten 2 Jahre daran zu beissen haben; je nachdem, wie klug wir uns dabei anstellen, werden wir da rauskommen.» Die Gewinner der jetzigen Lage wie die Digitalbranche oder die Pharmaindustrie profitieren unweigerlich von den neuen Gegebenheiten, und es wird weitere Produktivitätssteigerungen geben, doch: «Wir brauchen unbedingt eine Strategie», so Ruedi Meier, «wir müssen vom kurzfristigen Denken wegkommen und auch die Klimakrise lösen bzw. die CO2-neutrale Schweiz spätestens bis 2050 aktiv anstreben. Dabei ist die Kostenwahrheit in den Mittelpunkt zu stellen - das Marktversagen müssen wir lösen. Das alles sollte allerdings sozial- und wirtschaftsverträglich geschehen, sonst werden die Leute nicht mitmachen. Denn seien wir ehrlich: ohne Kostenwahrheit wird es keine Energiewende geben – nirgends auf der Welt.»
Der ewj-Präsident schlug 2 Varianten der Finanzierung vor (via EFD/SNB):
• Variante 1: Einmalig als Ausnahme in Krise: «Krisen- und Strukturfonds» 100 Mia. Franken. 60 Mia. Franken: ca. 20-40 Mia. Für Stützung der Liquidität mit Rückzahlung sowie je rund 15 Mia. Franken für Nachfragestützung, Impulsprogramm 2020/2030 sowie Reserven für diverse Eventualitäten (Finanzierung systemrelevante Unternehmen etwa im Pharmabereich, Gesundheitssystem etc.)
• Variante 2: zurzeit 4 Mia. Franken pro Jahr, ab 2021 über 10 Mia./Jahr für diverse Zwecke wie 1,5-2 Mia. Franken für Klima-Impulsprogramm, Sozialsystem (Rückführungen u.a. Negativzinsen) und ev. Schuldenabbau (nach Krise).
Als Vorteile der öffentliche Geldschöpfung SNB nannte Meier die direkten Wirkungen in Wirtschaft, Gesellschaft und auf Nachfrage (kein Umweg über private Wertschöpfung und Finanzsystem) sowie die geringen administrativen Kosten.
«Die massvolle öffentliche Geldschöpfung ist das Gebot der Stunde», betonte Meier. «Alles in allem resultiert daraus breiter Nutzen für eine starke Stellung der Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft. Hier sehe ich grosse Chancen.»
Nachhaltiges Impulsproramm im Fokus
Walter Ott stellte sein «Nachhaltiges Impulsprogramm nach COVID-19» -8 Handlungsbereiche mit klimaorientierten Wiederbelebungsmassnahmen - vor. «Die Herausforderung von Netto-Null CO2 bis 2050 ist sehr gross,» sagte Ott. «Es benötigt den Aufbau neuer Energie-Versorgungs- und -Verbrauchsinfrastrukturen für mindestens 63% des aktuellen Endenergieverbrauchs der Schweiz. Gefordert sind neue Rahmenbedingungen und Massnahmen, die gesamtwirtschaftlich möglichst effektiv - hohe Beiträge an Netto-0-Ziel - und effizient sind (Minimalkosten-Pfad).»
Bei der Mobilität ortete Ott 2019 in der Schweiz einen THG-Emissionsanteil von 32%. Hier muss das Impulsprogramm besonders für den schnellen Ausbau von Ladestationen für die eMobilität sowie ein Entwicklungsprogramm für H2-Basisladeinfrastruktur sorgen. Beim Öffentlichen Verkehr fordert Ott eine Optimierung durch eine konsequente Digitalisierung und Automatisierung sowie die Umstellung fossil betriebener ÖV-Verkehrsmittel auf Erneuerbare Energien (elektrisch, H2, Synfuel).
Auch für die Sanierung des Gebäudeparks Schweiz muss viel getan werden: Den Anteil des Endenergieverbrauchs bei den Gebäuden bezifferte Ott auf 27%. «Ziel muss sein», so Ott, «fossile Heizungen und rein elektrische Heizungen bis 2040 durch effiziente erneuerbare zu ersetzen sowie das solare Energieproduktions-Potential bei Dächern/Fassaden bis 2050 zu 60-90% zu nutzen. Wir werden um ein Obligatorium von erneuerbaren Heizungen für Neubauten nicht herumkommen.» Das Impulsprogramm im Gebäudebereich sieht des Weiteren ein Förderprogramm für den Heizungsersatz durch Erneuerbare bei bestehenden Bauten (Finanzierung durch CO2-Abgabe oder Fonds SNB), die Förderung von Installationen von Ladestationen bei Gebäuden (2000-6000 Fr./Ladestation) sowie die Förderung von Effizienzmassnahmen an Hülle von bestehenden Bauten (reduziert Stromverbrauch von WP-Heizungen) vor.
Walter Ott rügte auch die völlig ungenügenden Ausbauziele für die Stromproduktion aus Erneuerbaren in der Schweiz: +11,4 TWh/a bis 2035, +24,2 TWh/a bis 2050 (Wegfall KKW: -24 TWh/a). Die Energiewende erfordert bis 2050 einen zusätzlichen Bedarf von 50 TWh/a erneuerbaren Stroms, mehr als die Hälfte davon im Winter. Ott: «Besonders im Winter werden wir echte Probleme bekommen, und wir werden uns nicht auf das Ausland abstützen können, da die selber Probleme haben werden – und eigentlich wären in Zukunft zusätzliche 80-90 TWh/a nötig, wenn wir alles über die PV würden lösen wollen. Da baut sich eine Schieflage auf, wenn wir nicht die richtigen Entscheide treffen. Die aktuelle PV-Förderung ist unbefriedigend, sie muss modifiziert und massiv ausgebaut werden.»
Bei den Massnahmen in der Wirtschaft plädierte der Ökonom für eine schnelle Erhöhung der CO2-Abgabe bei Brennstoffen auf 150 Fr./tCO2 und für eine weitere Erhöhung auf 210 Fr./tCO2, abhängig von der Einhaltung eines Zielpfades in Richtung Klimaneutralität 2050.
«Denn», so Ott, «unsere bisherigen Reduktionsziele aus Sicht der Netto-Null-Zielsetzung 2050 sind völlig ungenügend. Und es fehlt ein klarer Absenkpfad mit absoluten Reduktionszielen in Richtung Netto-Null 2050.» Zusätzlich will das Impulsprogramm eine Anpassung der Zielsetzungen bei Vereinbarungen mit abgabebefreiten Betrieben, den verstärkten Einsatz erneuerbarer Wärme und Nutzung von Abwärme durch gezielte Förderung (Vereinfachung der Verfahren, Ausfallgarantien), die Förderung von Wärmeverbünden in Gebieten hoher Wärmedichte mit Erneuerbaren oder Abwärmequellen, die Förderung der Effizienz der Wärmeproduktion mit einem Programm « ProJoule» sowie die Förderung der Effizienz bei Stromanwendungen mit einem Ausbau der Förderung von «ProKilowatt».
Ott forderte an Fördermitteln für die Periode 2020 bis 2030 rund 1,5 bis 1,7 Mia. Franken pro Jahr – insgesamt total 15-17 Mia. Franken von 2020-2030, zusätzlich auch Mittelverschiebungen zu klimaorientierten, nachhaltigen Massnahmen und Umwidmungen.
Frauen-Power bei energie-wende-ja
Während Alexandra Gavilano, MSc Umweltwissenschaftlerin, Projektleiterin Landwirtschaft und Klima, Greenpeace Schweiz, zur Landwirtschaft im Spannungsfeld von Produktion und Umwelt sprach, stellte Leo Keller, dipl.nat. ETH, Managing Director, Blue Ocean SWS GmbH, Aarau, die Ziele und Massnahmen im Bereich Abfallwirtschaft für eine CO2 neutrale Schweiz vor. In einer anschliessenden, die Standpunkte klärenden Podiumsdiskussion traten Peter Metzinger, Gemeinderat Dietikon (FDP), Unternehmer, Gabriela Suter, SP-Nationalrätin Aargau, sowie Walter Schmid, Initiant Umweltarena, auf.
Nach der Generalversammlung von energie-wende-ja, an der mit der Wahl von Dominique Hischier, Kathrin Fuchs und Justyna Grund echte Frauen-Power angesagt war, zeigte Prof. Dr. AnthonyPatt, Professor für Klimaschutz an der ETH ZH, «Technologische und politische Wege zu einer kohlenstoffneutralen Gesellschaft» auf. Mit seinen lässigen, undogmatischen und doch fundierten Ausführungen wies er den Weg in eine nachhaltigere Zukunft. Dabei betonte er: «Wenn wir der Erwärmung unseres Planeten Einhalt gebieten wollen, dann ist das kein Selbstzweck, wir tun das für uns, denn 5-6 °C wärmer oder auch mehr war es bereits einmal auf der Erde, aber wir wissen einfach nicht, ob das gut gehen würde mit über 8 Mia. Menschen …»
Das hohe Mass an Sensibilisierung für das Thema Energie-, Klima- und Wirtschaftspolitik und für eine CO2-neutrale Schweiz in massgeblichen Teilen der Bevölkerung wird die Lösung der zu bewältigenden Aufgaben bei uns erleichtern.