Stromerzeugung

Am Genfersee realisiert Energie 360° einen nachhaltigen Energieverbund, der die Firma Medtronic zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie versorgt. (Bild: Energie 360°)

Die bestehenden Seewasserverbunde von EWZ setzen die energiepolitischen Ziele der Stadt Zürich und des Bundes bereits in die Tat um. (Bild: EWZ)

WL erschliesst in einem Pionierprojekt die Gemeinden Horw und Kriens mit See-Energie. (Bild: EWL)

Seewasser als Energiequelle

Viele Schweizer Seen verfügen über thermische Energie zum Heizen und Kühlen von Wohnbauten, öffentlichen Gebäuden sowie Industrieanlagen. Die Energiequelle ist sauber, erneuerbar und praktisch unerschöpflich. Wir stellen aktuelle Projekte vor.  

Die Schweizer Seen sind nicht nur beliebte Erholungsgebiete, sondern dienen auch als nachhaltige Energiequelle: Mit dem Wasser aus dem See können Gebäude rund um das Seebecken umweltfreundlich mit Wärme und Kälte versorgt werden. Die Nutzung von Seewasser wird an einigen Orten in der Schweiz bereits vorgenommen. Kein Wunder, denn das Potenzial in dem Land mit rund 1500 Seen ist enorm, und die Vorteile liegen auf der Hand: Die Technik kann nicht nur Wärme produzieren, sondern auch Kälte. Da die Energiequelle lokal verhanden ist, erübrigen sich die Transportwege. In den Seewasserverbunden sind Erweiterungen durch neue Anschlüsse einfach zu realisieren, und ihre Betriebs- sowie Versorgungssicherheit ist hoch. Und last but not least ist die Energiequelle konstant vorhanden, sodass eine Vorratsbeschaffung entfällt. Mit dem Bemühen um eine Reduktion der CO2-Emissionen sind einige Energieversorger auf den Plan getreten und bringen mit ihren technischen Lösungen zur regenerativen Wärme- und Kältegewinnung nun mehr Bewegung in die Erschliessung von Städten und Gemeinden mit thermischer Energie aus dem See.

Energiequelle Zürichsee

Heizen mit Wärme aus Wasser ist keine neue Idee. Bereits Ende der 30er-Jahre liess die Stadt Zürich eine Wärmepumpe installieren, die mit Wärme aus der Limmat Heizenergie für das Rathaus erzeugt. Heute sind rund um den Zürichsee zirka 50 Verbunde für Wärme aus dem Seewasser in Betrieb oder in Planung. Allein im Zürcher Seebecken betreibt der schweizweit tätige Anbieter für Energielösungen EWZ seit über zehn Jahren vier Seewasserverbunde. Drei weitere befinden sich in der Prüfung bzw. Realisierung.

Für Aufsehen sorgt seit einiger Zeit eine neue «gigantische Klimaanlage für Zürich», die das Stadtzentrum im Sommer mit Seewasser kühlen und im Winter heizen soll. Die Machbarkeitsstudie des Millionenprojektes «Coolcity» ist zwar noch nicht abgeschlossen, das Interesse ist aber bereits gross: In einer von der Stadt Zürich initiierten Umfrage im Jahr 2018 zeigten sich 60 von 75 teilnehmenden Gewerbe- und Liegenschaftseigentümern an einem Verbundanschluss interessiert. Aus gutem Grund: In der Zwinglistadt, in der sich die Ventilatoren der Kühlaggregate auf den Dächern türmen und wo in den Kellern oft nicht genügend Platz für eine klimafreundliche Wärme- und Kälteerzeugungsanlage besteht, ist der Umstieg auf Energie aus dem Zürichsee für die meisten Eigentümer eine attraktive Option. Zu reden gibt allerdings die Finanzierung von «Coolcity». Der Leitungsbau ist kostenintensiv und wird eine Volksabstimmung benötigen. Zudem soll der Bau der Leitungen möglichst zusammen mit Belags- oder Leitungssanierungen stattfinden, um Verkehr und Anwohner nicht übermässig zu belasten. EWZ-Projektleiter Reto Burkhart rechnet deshalb erst ab 2030 mit der schrittweisen Inbetriebnahme des Verbunds.

Weniger weit in die Zukunft blicken muss man bei der Realisierung des neuen Wärmeverbundes für die Zürichseegemeinde Thalwil. Planung, Bau und Betrieb übernimmt das schweizweit agierende Unternehmen für Energielösungen Energie 360 º. Rund 100 Liegenschaften sollen ab Herbst 2022 jährlich mit etwa 130 0000 Kilowattstunden Wärme und 50 0000 Kilowattstunden Kälte versorgt werden. Weil dadurch bestehende Öl- und Gasheizungen ersetzt werden, sparen die Thalwilerinnen und Thalwiler so rund 2800 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr. Um die klimafreundliche Energie aus dem Zürichsee zu nutzen, baut Energie 360° beim Schiffanleger Thalwil eine 30 Meter lange Rohrleitung in den See, um das Wasser für die Energiegewinnung zu entnehmen. Die Leitung führt zum Pumpenhaus im Untergrund eines Parkplatzes an der Seestrasse. Dort überträgt das Seewasser seine Wärme an einen separaten Kreislauf und fliesst wieder in den See. Die gewonnene Energie wird zur Energiezentrale in der geplanten Central-Überbauung und von dort mit Fernwärmeleitungen ins Zentrum von Thalwil geleitet. Zur Abdeckung von Leistungsspitzen in kalten Wintern und für die Versorgungssicherheit werden in der Energie­zentrale zudem zwei Gaskessel gebaut. Baubeginn ist im Frühjahr 2021.

Und auch der Blick auf die andere Seeseite, nach Meilen, lohnt sich. Hier wurde im Herbst eine Anlage in Betrieb gesetzt, die sowohl der Industrie als auch den Bürgern der Gemeinde dient. Die Midor AG kühlt ihre Produktion mit Seewasser. Die Energieversorgerin pumpt dafür Wasser aus dem Zürichsee zu den Kühlanlagen der Guetsli- und Glace-Herstellerin. Drei Wärmetauscher übertragen die Kälteenergie des Seewassers in einem separaten Kreislauf auf den Kältekreis der Produktions­anlagen. Das Seewasser gelangt danach direkt wieder in den See. Beim Kühlen entsteht Abwärme, die ebenfalls in einem Energieverbund nutzbar gemacht werden kann: Die Wärme fliesst über Fernwärmeleitungen zu den Liegenschaften im Quartier, wo sie dann zum Heizen und zur Warmwasseraufbereitung dient.

Seewasserpumpwerk als Industrielösung

Am Genfersee, in den Gemeinden Tolochenaz und Morges, realisiert Energie 360 ° einen nachhaltigen Energieverbund, der die Firma Medtronic zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie versorgt. EnerLac besteht aus einem Seewasserpumpwerk, das zusammen mit dem Projekt MorgesLac und der Gemeinde Morges realisiert wird. Damit die Wasserfassung in der Gemeinde während des ganzen Jahres von einer stabilen Wassertemperatur profitieren kann, wird das Wasser in 45 Metern Tiefe und mehr als einen Kilometer vom Ufer entfernt entnommen. Um das Unternehmen Medtronic mit Wärme- und Kälteenergie zu versorgen, baut die Energieversorgerin Heizzentralen mit Wärmepumpen, die die Wärmeenergie des Seewassers nutzen. Das Seewasser, das eine Temperatur zwischen 6 und 9 Grad aufweist, kann auch für das Free-Cooling genutzt werden. Hier genügt ein Wärmetauscher, der die Kühlung durch Seewasser sicherstellt. Die Synergien der beiden Systeme werden für eine effiziente und ökologische Energielösung genutzt. Der Energieverbund EnerLac ist so konzipiert, dass er auch erneuerbare Energielösungen für die Industriezone Riond-Bosson in Morges und die Gemeinde Tolochenaz anbieten kann. Dieses Projekt ermöglicht eine jährliche Einsparung von 480 Tonnen CO2 pro Jahr.

See-Energie in der Region Luzern

Auch der Vierwaldstättersee birgt grosse Wärme- und Kältereserven. Ein Teil davon kann für eine umweltschonende Energieversorgung genutzt werden. Der Energieversorger EWL erschliesst mit einem Pionierprojekt die Gemeinden Horw und Kriens mit erneuerbarer See-Energie. Der Bau der See-Energie-Zentrale Seefeld ist in der Endphase. EWL rechnet Mitte Dezember 2020 mit der Erstlieferung an die Überbauung Wegmatt in Horw, und im Januar 2021 wird die Überbauung Schweighof in Kriens mit Wärme aus der See-Energie-Zentrale Seefeld beliefert. Aktuell wird das Nidfeld-Areal erschlossen. Der Verbund produziert im Endausbau 55 Gigawattstunden Energie, was reicht, um zirka 6800 Haushalte mit Wärme und Kälte zu versorgen. Jährlich soll damit 10 000 Tonnen CO2 eingespart werden.

Des Weiteren wurde in Luzern die über 30-jährige See-Energie-Zentrale Inseliquai unter laufendem Betrieb saniert. Sie wurde im Herbst fertiggestellt. Aktuell ist das Gebiet um den Bahnhof Luzern erschlossen. Bei der Sanierung wurde die Zentrale erweitert, damit weitere Gebiete erschlossen werden können. Diese Erweiterung des Netzes ist aktuell in Planung. Im Endausbau wird die Zentrale 3700 Haushalte mit Wärme und Kälte versorgen. Das entspricht einer Energiemenge von 30 Gigawattstunden im Jahr. Jährlich können so 5500 Tonnen CO2 eingespart werden.

Städte wie Zürich, Luzern, Genf und Lausanne nehmen in der Nutzung von thermischer Energie aus ihren Seen bereits eine Vorreiterrolle ein. Das Potenzial ist aber längst nicht erschöpft. Der Bedarf vieler Seegemeinden und -städte könnte vollumfänglich gedeckt werden. Wir dürfen auf die weiteren Entwicklungen in diesem innovativen Markt gespannt sein.


So funktioniert Seethermie

In 20 bis 40 Metern Tiefe wird Wasser aus dem See ans Ufer gepumpt. Über einen Wärmetauscher wird die Wärmeenergie des in dieser Tiefe 4 bis 10 Grad warmen Seewassers auf ein Kältemittel in einem separaten Kreislauf übertragen. Das Seewasser wird nach dem Durchlaufen des Kreislaufs sauber und unversehrt wieder zurück in den See geleitet. Das Kühlmittel zirkuliert in einem geschlossenen Kreislauf. Es kommt weder mit dem Seewasser noch mit dem Heiz- und Brauchwarmwasser in Berührung.Das im Wärmetauscher temperierte Kühlmittel verdampft und erhöht seine Temperatur beim Durchströmen eines Kompressors. In einem weiteren Wärmetauscher gibt das Kühlmittel die Wärmeenergie an das Heiz- und Brauchwarmwasser weiter. Dieses wird so auf die gewünschte Temperatur erhitzt und dann in die angeschlossenen Haushalte geleitet. Dasselbe Prinzip – nur umgekehrt – wird bei der Kühlung angewendet.