Wie die Zukunft der Schweizer Wasserkraftwerke aussehen könnte und welchen zentralen Beitrag sie leisten, erfuhren die Besucher Ende September in den Tiefen des Grimselmassivs. Dazu trafen sich rund 50 Fachleute und Interessierte in einer neu gebauten Kaverne neben der alten Turbinenhalle des Kraftwerks Handeck 2. Lokaler Gastgeber waren die Kraftwerke Oberhasli (KWO), eingeladen hatte das Europaforum Luzern. Das Impulsreferat mit anschliessender Podiumsdiskussion fand auf dem Turbinengehäuse direkt unter einem Brückenkran statt, der rund 200 Tonnen heben kann. Unterhalb der Bühne, etwa zwölf Meter tiefer, befinden sich – für den Besucher unüberhörbar – die eigentlichen Turbinen des Kraftwerks, die man im Anschluss unter fachkundiger Führung besichtigen durfte. So wurde dem Besucher sehr anschaulich klar, wie aufwendig, kapitalintensiv und daher langfristig angelegt die Wasserkraft im Vergleich zu Windkraft und Photovoltaik ist.
Spannendes Impulsreferat
Gleich zu Beginn kam Daniel Fischlin (CEO KWO) zu den Herausforderungen, denen ein moderner Wasserkraftwerksbetreiber unterliegt. Dazu gehören enorm hohe Investitions- und betriebliche Fixkosten, die solche Anlagen mit sich brächten, aber auch zunehmend strenge Auflagen und schwankende Strompreise, welche das Erzielen schwarzer Zahlen erschwerten. Fischlin bemerkte ein wenig frustriert: Wenn er seinen Business Case mit millionenschweren Investitionen, 80-jährigen Abschreibungsfristen und Anlagenlaufzeiten von bis zu 100 Jahren einem Finanzfachmann präsentieren würde, bekäme er kein Geld. Aus rein finanzieller Sicht sei ein Wasserkraftwerk somit ein Risiko-Investment. Gleichwohl haben sowohl die KWO-Aktionäre wie auch die Endkunden ein grosses Interesse an inländischem Ökostrom, weil er sich attraktiv vermarkten lässt und damit höhere Strompreise erzielen lassen. Und der Bedarf steigt – absolut mit Blick auf die Gesamtmenge, aber auch für nachhaltig erzeugten Inlandsstrom.
Ein latentes und zunehmendes Problem seien die überlasteten Netzübergänge innerhalb der Länder Europas, so Fischlin. So brächte man den deutschen Überschussstrom z. B. aus Windkraftanlagen oft gar nicht in die Schweiz. Zudem nähmen die Interventionen vom Stromnetzbetreiber Swissgrid dramatisch weiter zu: Seit 2016 haben sie sich vervierfacht. Hier zeigen sich auch die Folgen des von der EU einseitig gestoppten Stromhandelsabkommens, welches die Schweiz strommässig aus Europa ausschliesst und eine zeitnahe grenzüberschreitende Netzstabilisierung erschwere bis verunmögliche.
Ob In- oder Ausland: Die Wellen in den Wasserkraftwerken drehen mit 50 Hz, und dies mit grosser Konstanz. Fischlin betonte den grossen Anteil der Wasserkraft zur Stabilisierung des Stromnetzes. Und speziell für Interventionen müsse man stets eine grosse Strommenge in Form gespeicherten Wassers bevorraten. «Bei plötzlichen Versorgungslücken können wir hier oben kurzfristig Wasser ablassen und Strom liefern. Nur werden wir dafür nicht entschädigt», so Fischlin. Zudem sei man vermehrt mit böswilligen Attacken aus dem Internet konfrontiert (Bot-Netze).
Wenn Tausende von Nutzern gleichzeitig ihre Stromverbraucher in Betrieb setzten, gäbe es Netzüberlastungen. Das Muster ähnelt dabei Attacken auf Internet-Server, wovon auch Stromkonzerne betroffen sein können, wie die Vergangenheit beweist.
Unruhe im Stromnetz
Ein weiteres destabilisierendes Element ist die grosse Wetterabhängigkeit der Wind- und Sonnenergie. Denn es ist eine einfache Tatsache: Ohne Sonne (eher bei hohem Sonnenstand tagsüber sowie im Sommer) und ohne Wind (eher im Winterhalbjahr) gibt es aus diesen Quellen keinen Strom. Das Wetter kümmert sich nicht um unsere Bedürfnisse, sondern gibt einen eigenen und kaum vorhersehbaren Takt vor. Immer mehr Ökostromanlagen produzieren Strom, der bei fehlendem Eigenverbrauch einfach ins Stromnetz eingespeist wird und Unruhe ins Stromnetz bringt. Beide Tatsachen werden von Teilen der Politik und der Umweltverbände, aber auch von den Betreibern dieser Anlagen gerne ausgeblendet. Fischlin äusserte zudem gewisse Zweifel am Sinn von PV-Anlagen an Staumauern. Deren Montage sei aufwendig und heikel, und heute wisse niemand, ob diese Anlagen wirklich 25 Jahre lang den hochalpinen Witterungseinflüssen standhalten könnten. Man betrete hier Neuland.
Es liegt auf der Hand: Wenn man in grösserem Umfang auf Sonne und Wind setzen will, braucht es mehr Möglichkeiten zur Stromspeicherung. Dazu könnten Power-to-Gas-Anlagen (P2G) dienen, wie sie in Deutschland schon seit einigen Jahren bestehen. Jedoch ist P2G für eine massenhafte Nutzung in Grossanlagen kaum geeignet und verlustbehaftet – etwa bei der Umwandlung von Energieformen (Strom zu Gas zu Strom) oder wegen der Flüchtigkeit des Gases (Methan, Wasserstoff). Dasselbe gilt auch für Akkuspeicher in Häusern oder in E-Autos, die nur eine sehr begrenzte Kapazität besitzen und noch sehr teuer sind.
Hinzu kommt, dass im Sommerhalbjahr eine kleinere Stromnachfrage bestehe, aber aufgrund der Regenmenge gerade dann mehr Strom produziert werden kann. Im Winterhalbjahr hingegen bestehe eine höhere Nachfrage, aber weniger Möglichkeiten zur Stromproduktion. Somit gebe es nach Meinung von Fischlin nur eine Möglichkeit: Ausbau der Wasserspeicherkapazitäten – einerseits zur Deckung des Stromverbrauches, andererseits zur Sicherung der Netzstabilität. Er schloss mit dem provokanten Satz: «Das Geschäftsmodell der Grosswasserkraftwerke funktioniert nicht.» Denn die Bereithaltung von Energiereserven und der unverzichtbare Beitrag zur Netzstabilisierung werden nicht vergütet.
Lebhafte Podiumsdiskussion
Für solche Begehren zeigte Marianne Zünd als Vertreterin des Bundesamtes für Energie (BFE) keinerlei Verständnis. Denn die Wasserkraft gehöre den Kantonen und den Gemeinden. Diese erhielten Wasserzinsen und wollten nicht darauf verzichten. Eine staatliche Förderung der Wasserkraft schloss sie kategorisch aus und forderte Fischlin pointiert auf, er solle aufhören, die verschiedenen Energieformen gegeneinander auszuspielen. Dieser konterte mit grosser Sachlichkeit und wies auf die
Lebensdauern und die entsprechend kurzen Abschreibungsfristen von PV-Anlagen hin, die sich bei 25 Jahren bewege. Bei deutschen Kohlekraftwerken betrage sie 40 und bei Wasserkraftanlagen 80 Jahre, wobei heute niemand wisse, ob die Anlagen in 80 Jahren noch benötigt werden. Er hoffe hier auf klarere Signale vom Bund und von den Kantonen.
Maurice Dierick, Leiter Market Swissgrid, gab zu bedenken, dass der Strommarkt genau genommen kein klassischer Markt sei, sondern eher von der Politik geprägt wird. Und in den europäischen Branchengremien wie ENTSO-E könnten sich die Schweizer Vertreter wegen des fehlenden Stromabkommens heute nur noch «dank einer Guerilla-Strategie einbringen», sagte Dierick, etwa als Protokollführer oder Erbringer anderer Hilfeleistungen. Auf kommerzieller Seite hätten die Schweizer Stromanbieter zunehmende Barrieren zu überwinden und könnten die Produkte auch nicht mehr zu denselben Bedingungen wie die europäische Konkurrenz anbieten. Das wirke sich auf die Ergebnisse der Stromkonzerne zunehmend aus, so Dierick. Schliesslich fehle eine Bewirtschaftung des europäischen Netzverbundes: «Die EU hilft der Schweiz bei einem Blackout nicht.» Vielleicht sollten auch mehr Kraftwerke näher bei den Stromabnehmern entstehen, was jedoch an einer Einsprachenflut scheitern dürfte.
Phyllis Scholl, Verwaltungsrätin Alpiq, gab zu bedenken, dass sich die aktuellen Probleme der Stromwirtschaft nur lösen lassen, wenn der Endkunde in den Mittelpunkt gerückt wird. Ihm sollte die Versorgungssicherheit etwas wert sein und dafür bezahlen. «Ich habe den Eindruck, dass eine grosse Verantwortung bei den Konsumenten liegt. Wir sollten ihnen viel mehr Bedeutung beimessen», so Scholl. Marianne Zünd unterstützte dieses Votum und merkte an, dass sich der typische Schweizer doch gegen jedes und alles versichern lasse und daher vielleicht auch zu einer Versicherungsprämie für «Versorgungssicherheit Strom» bereit wäre.
Schlussvoten
Einigkeit bestand bei den Podiumsteilnehmern zu neuen Tarifmodellen, welche die realen Kosten besser abbilden. Einige lokale Stromanbieter haben jedoch den Nachtstrom abgeschafft, auf 2021 z. B. die EWB AG. Dabei besteht doch gerade morgens und abends sowie im Winter ein höherer Strombedarf, was unliebsame Stromspitzen erzeugt, auf welche das Gesamtsystem abgestimmt werden muss. Dies könnte man ebenso im Tarif abbilden wie eine höhere Versorgungssicherheit. Im ICT-Bereich sei letzteres ebenfalls üblich, hörte man von der Bühne.
Marianne Zünd präsentierte am Ende noch zwei zentrale Ergebnisse der im November erschienenen neuen BFE-Energiestrategie, welche eine Sicht über das Jahr 2050 hinaus geben soll. Keine neue Erkenntnis darin ist, dass es «eine hohe Energieversorgungssicherheit nur gemeinsam mit den europäischen Nachbarn geben kann». Ein zweiter Punkt ist, dass die «Wasserkraft auch künftig eine zentrale Rolle spielen» wird – jedoch keine, welche die Anbieter begrüssen dürften. Denn nach Meinung des BFE soll die Wasserkraft «insbesondere eine wichtige Funktion beim Ausgleich der anderen erneuerbaren Energien wie Photovoltaik, Wind, Biomasse etc. übernehmen».
Anbieter wie die KWO werden also weiterhin den Wasserhahn aufdrehen müssen, wenn das Wetter mal wieder nicht so mitspielt, wie es der Strombedarf gerade verlangt. Und so war es KWO CEO Fischlin, der ein finales Ausrufezeichen setzte. Für ihn sei eine Strommangellage, also ein landesweiter Blackout das grösste Risiko. Statt wie bisher «alle 30 Jahre» sollte das Risiko für ein solches Ereignis heute mit «alle zehn Jahre» veranlagt werden. Aus Sicht KWO gäbe es dazu nur eine Option, nämlich den Speicherausbau. Hinderlich seien dabei z. B. immer strengere Auflagen des Bafu, etwa zum Fischschutz. Damit verliere man ungefähr genauso viele GWh Leistung wie der aktuelle Ausbau erbringe, so Fischlin. Das jahrzehntelange Gerangel um die Erhöhung der Grimsel-Staumauer sowie die Einsprachenflut von Umweltschutzvereinen bei Ausbauten hatte er dabei noch nicht einmal erwähnt.
Der Gastgeber: Kraftwerke Oberhasli AG (KWO)
Die KWO ist eines der führenden Wasserkraftunternehmen der Schweiz. Seit ihrer Gründung im Jahr 1925 stellt sie für Hunderttausende Menschen in der Schweiz und im Ausland effizient Strom aus erneuerbaren Energiequellen her. Mit 13 Wasserkraftwerken und acht Speicherseen produziert der Geschäftsbereich KWO Grimselstrom jährlich zwischen 2100 und 2300 GWh elektrische Energie. Dabei handelt es sich um CO2-freien Band- und Spitzenstrom. Zudem sorgt die KWO mit der Energieproduktion und der Netzregelung für eine sichere und zuverlässige Stromversorgung. Als Dienstleisterin der Strombranche hilft die KWO mit ihren Kraftwerken, Netzzusammenbrüche und somit potenziell gravierende wirtschaftliche Schäden in der Schweiz und in Europa zu verhindern. Die KWO ist seit Jahrzehnten einer der grössten Arbeitgeber für hochspezialisierte Fachkräfte, aber auch für Gastronomie- und Tourismusmitarbeitende sowie für Handwerker und Hilfskräfte in der Bergregion. KWO-Eigentümer sind zu 50 % die BKW AG und zu je 16,67 % die Energieversorger der Städte Bern (EWB AG), Basel (IWB AG) und Zürich (EWZ AG).